Rehydrierung bei akuter Gastroenteritis

27.12.18 - Rehydrierung innert 4h, max. 60ml/kg ODER 2000ml (im Excel hinterlegt)

27.12.18 - Diverse kleine Anpassungen und Präzisierungen gemäss neuem Schema Rehydrierung

04.07.18 - Perenterol: Wurde aus Spitalsortiment entfernt wegen Sicherheitsbedenken Immunsuppression/chronische Krankheit: Rezeptieren bei Bedarf

Inhaltsverzeichnis

Autor: Dr. med. J. Spalinger / Dr. med N. Hagleitner / Prof. Dr. med. Th. Berger / Dr. med M. Stocker / Dr. med. I. Bachmann-Holzinger / Prof. Dr. med. Th. Neuhaus
Version: 04/12, Revision: 09/14, 05/2018, 12/2018

Key Point

So banal und häufig eine unkomplizierte Gastroenteritis ("Brechdurchfall")erscheinen mag, sie birgt immer wesentliche Gefahren und erfordert sowohl von ärztlicher als auch von pflegerischer Seite volle Aufmerksamkeit!

Einleitung

6 Grundpfeiler der Behandlung leicht bis mittelgradig dehydrierter Kinder

  1. Die Korrektur des geschätzten Flüssigkeitsverlustes erfolgt mittels gekühlter oraler Rehydrierungslösung (ORS) innert 4 Stunden (per os oder per Magensonde).
  2. Orale hypoosmolare Lösung: im Kinderspital Oralpädon® (60 mmol/l Natrium, 90 mmol/l Glucose); andere verwendete Lösungen (z.B. GES 45, Normolytoral: Na 49-90 mmol/l, Glukose 74-111 mmol/L).
  3. Mütter sollen zur Weiterführung des Stillens angehalten werden.
  4. Die Wiedereinführung der Ernährung mit normaler Kost (ohne Einschränkung der Laktose-Zufuhr) soll früh erfolgen, d.h. bereits nach 4 Stunden Rehydrierung.
  5. Weitere Durchfall-Verluste können durch Zufuhr von ORS (10 ml/kg KG pro flüssigen Stuhlgang) ersetzt werden.
  6. Von unnötiger Medikation ist abzusehen.

•Die Beurteilung einer akuten Durchfallserkrankung erfolgt einerseits aufgrund der Erhebung der Anamnese und andererseits aufgrund der klinischen Untersuchung mit Abschätzung des Ausmasses der Dehydrierung. Wird die Dehydrierung auf < 10% geschätzt, kann/darf die Behandlung ambulant durchgeführt werden.

•Die orale Rehydrierung mit ORS ist am sichersten und die Methode der Wahl.

Anamnese

  • •Dauer, Art und Intensität des Erbrechens und der Durchfälle
  • Fieber
  • Erfolgte Flüssigkeits- und Nahrungsaufnahme
  • Urinproduktion
  • Letztes Körpergewicht
  • Vorhandensein von Blut im Stuhl; galliges Erbrechen
  • Mögliche Ursachen von Erbrechen / Durchfall
  • Umgebungsanamnese und Tierkontakt
  • Auslandaufenthalt

Einschätzung des Ausmasses der Dehydrierung

  • Gemäss Gewichtsverlust in % des Körpergewichtes (sofern Gewicht vor Erkrankung bekannt)
    Cave: Flüssigkeit im Darm („dritter Raum“) führt zu Unterschätzung
  • •Gemäss klinischer Beurteilung.
    Cave: Bei Säuglingen wird der Schweregrad klinisch oft unterschätzt !
Dehydratation leicht
< 5%
mittel
5-10%
schwer
≥ 10%
Allgemeinzustand durstig, wach, unruhig durstig, unruhig, irritabel, apathisch somnolent, peripher kühl
Pulse normal, kräftig tachykard, schwach tachykard, ev. nicht palpabel
Atmung normal tachpnoisch tachypnoisch, tief
Hautturgor normal vermindert stehende Hautfalten
Schleimhäute feucht trocken sehr trocken
Augen normal mässig haloniert deutlich haloniert
Rekappilarisierung bis 2 sec. bis 2 sec. > 2 sec.
Fontanelle normal leicht eingefallen stark eingefallen
Urinmenge normal Oligurie; konzentriert Oligo-Anurie; konzentriert
Flüssigkeits-Defizit < 50 ml/kg 50-100 ml/kg > 100 ml/kg

Abklärungen

Initiale Untersuchungen: immer Klinik mit Vitalparameter inkl. Blutdruck

•Labor:

  • Nur falls intravenöse Rehydrierung nötig: BB, Na, Cl, K, Blutgase, Anionenlücke (Na – (HCO3 + Cl), Lactat, Glukose (bei schwerer Dehydratation zusätzlich: Harnstoff, Kreatinin). Urin: spez. Gewicht, Ketonkörper
  • •Verlaufskontrollen nur bei fehlender Besserung oder pathologischen Initialparametern.

Cave: falls Gastroenteritis mit Alkalose: DD: massives Erbrechen oder CF (oft Na ↓)

Indikationen für Hospitalisation

  • Schwere, evtl. mittelgradige Dehydratation
  • •Keine orale Rehydrierung zu Hause möglich (Trinkverweigerung, Erbrechen, Belastbarkeit der Eltern, etc.)
  • •Je jünger das Kind desto eher soll die Rehydrierung stationär erfolgen!

Flüssigkeitstherapie allgemein

Die Flüssigkeitszufuhr setzt sich immer zusammen aus

  1. Rehydrierung = Korrektur des Defizits
  2. Erhaltungsbedarf
  3. Ersatz von laufenden Verlusten

Erhaltungsbedarf:

100 ml/kg/d für die ersten 10 kg KG
+50 ml/kg/d für die zweiten 10 kg KG
+20 ml/kg/d für jedes kg > 20 kg KG

Ältere Kinder: auch 1800 ml/m2

Orale Rehydrierung

Indikation zu einem Versuch mit oraler Zufuhr (Erbrechen ist primär keine Kontraindikation!):

  • •Alter über 3 Monate
  • •Exsikkose < 10 %

•Rehydrierung = Korrektur des geschätzten Defizits mit Oralpädon (ORS) innert 4 Stunden p.o. oder mit Magensonde in kleinen Portionen (alle 5-10 Min. 5-10ml, dann steigern je nach Toleranz). Falls möglich (je nach Kapazität der Pflege) wird sie ambulant durchgeführt.

•Erhaltungsbedarf (siehe unten)

  • •Frühe Wiedereinführung der Ernährung mit normaler Kost (nach 4 h Rehydrierung).
  • •Gestillte Säuglinge wenn möglich weiter stillen; keine "Tee- oder Milchpause"


Antiemetika (Ondansetron)

•Indikation

  • •Säuglinge/Kinder im Alter von > 6 Mt und/oder > 8 kg
  • bei (zu Hause durch Eltern oder auf NF-Station) fehlgeschlagener peroraler Rehydratation = persistierendes Erbrechen
  • •leichte bis mittelschwere Dehydratation (< 10%), milde Diarrhoe (nicht mehr als ca. 3-4x/d)

•Kontraindikationen

  • •Säuglinge < 6Mt und/oder < 8 kg
  • •Verdacht auf Ileus
  • •mässige bis mittelschwere Dehydratation (>10%)
  • •Phenylketonurie, Long-QT-Syndrom

•Dosierung

  • Einmaldosis Ondansetron 0.1-0.2 mg/kg p.o.
  • •bei Erbrechen innerhalb der ersten 15 Minuten nach Einnahme soll die Dosis wiederholt werden
  • •15 Minuten nach Einnahme des Ondansetron Beginn mit peroraler Rehydratation (1 Teelöffel = 4-5ml alle 2-3 Minuten)
8-15 kg 2mg
15-30 kg 4mg
> 30kg 8mg


Hinweis

  • •es gibt für den Einsatz von Ondansetron bei Gastroenteritis genügend Evidenz, der Einsatz erfolgt jedoch "off-Label"
  • •für andere Antiemetika (z.B. Motilium, Metoclopramid, …) besteht keine Indikation (Ausnahme: Itinerol B6® bei telefonischer Beratung)


Probiotika

Perenterol (Saccharomyces boulardii) kann die Symptomdauer um einen Tag reduzieren und kann bei ambulanten Kindern empfohlen werden. Dosis 2-3xtgl 250mg für 5-7d. KI Immunsuppression/Immundefekt (deshalb aus dem Spitalsortiment entfernt: Rezeptieren bei Bedarf)

    Intravenöse Rehydrierung und Flüssigkeitstherapie

    (Berechnung siehe Excel-Tabelle)

    Indikation

    • Akute Gastroenteritis (Brechdurchfall)•
    • Dehydrierung >>5%
    • •und/oder fehlgeschlagene oder schwierige orale Rehydrierung (klinische Situation); kein Personal verfügbar.
    • Achtung: Wenn im Schock / Verdacht auf Schock: Merkblatt Schock

    •Prinzipien

    • •Unterscheidung von isotoner (Na 130-150 mmol/l), hypotoner (< 130mmol/l) oder hypertoner (> 150 mmol/l) Dehydrierung.
    • •Rehydrierung = Korrektur des Defizits innert 4 h
    • Verwendung isotoner / balancierter Lösungen
    • •Azidose wird primär nicht mit Bicarbonat (Alkali) korrigiert
    • •Erhaltungsbedarf nach 4h: möglichst per os (bei Säuglingen mit Stillen weiterfahren); falls intravenös mit Ringeracetat 1% / 5% Glucose
    • •Ersatz laufender Verluste (10 ml/kg KG pro flüssigen Stuhl) per os oder intravenös mit Ringeracetat 1% Glucose
    • •Zufuhr von normaler Kost früh = nach 4 h Rehydrierung: Beginn mit Flüssigkeit per os und normaler Kost unter der Voraussetzung, dass AZ besser und Kind trinken und essen will.

    Intravenöse zusätzliche Glucosezufuhr bei KETOACIDOSE / HYPOGLYKÄMIE

    • •Eine persistierende Ketoacidose (in der Regel normochlorämisch) wird primär nicht mit Volumen oder Bicarbonat behandelt, sondern mit zusätzlicher Glucosezufuhr: Dosis 2,5 mg/kg/Min, ggf. zusätzlich als Glucose 40%: Berechnung siehe Excel-Tabelle
    • •Falls persistierende Azidose und Hyperchlorämie: Anteil am negativen Base-Excess (BE) durch Hyperchlorämie

    Na - Cl - 32 = Anteil Chlorid in mmol am BE

    Intravenöse Rehydrierung bei HYPOTONER Dehydratation

    •Na+ < 130 mmol/l

    • Erfolgt immer nach Rücksprache mit OA/LA
    • in der Regel asymptomatisch: kein zusätzlicher Natrium-Ersatz
    • •Symptomatische Hyponatriämie (Krämpfe): Natrium-Zielwert = 135 mmol/l
      Berechnung siehe Excel-Tabelle: Gewünschter Na-Anstieg = maximal 10 mmol/l pro 24 h: (Natriumzufuhr pro 24 h = Gewünschter Na-Anstieg in mmol/l x kg KG x 0,6).
      Gefahr bei zu rascher Korrektur (> 0.5 mmol/l/Std = > 12 mmol/l pro 24 h) der Hyponatriämie: Zentrale pontine Myelinolyse (v.a. bei Erwachsenen beschrieben)

    Intravenöse Rehydrierung bei HYPERTONER Dehydratation

    Na+ > 150 mmol/l

    • Erfolgt immer nach Rücksprache mit OA/LA
    • •in der Regel asymptomatisch: keine hypotone Lösung
    • •Gefahr bei zu rascher Korrektur (> 0.5 mmol/l/Std = > 12 mmol/l pro 24 h) der Hypernatriämie: Hirnödem

    Intravenöse zusätzliche Kaliumzufuhr bei HYPOKALIÄMIE

    K+ < 3.0 mmol/l

    • •Erfolgt immer nach Rücksprache mit OA/LA
    • •Kalium intravenös über 24 h: Erhaltungsdosis 2 mmol/kg KG pro 24 h (Kurzinfusion verboten) mit K-Cl 15% (1 ml = 2 mmol K-Cl)

    Überwachung stationär

    • Klinisch durch Protokollierung von Puls, BD, Atmung, Temperatur und Zeichen der Zentralisation, ev. EKG-Monitoring (z.B. K+ < 2.5 mmol/l)
    • •Labor: Na, Cl, K, Blutgase, Anionenlücke, Lactat, Glucose und Blutgase (bei schwerer Exsikkose oder bereits nach wenigen Stunden
    • •Nacktes Eintrittsgewicht (Waagen im Hause sind geeicht); Kontrollen ein- bis mehrmals täglich
    • •bei schwerer Exsikkose Messung der Urinproduktion und Spez. Gewicht (minimal 1 ml/kg/h für Säuglinge und Kleinkinder), evtl. Blasenkatheter (v. a. bei Mädchen).

    Nach 4 Stunden muss die Situation bezüglich AZ, laufender Flüssigkeitsverluste, fehlender Urinproduktion usw. vom Arzt neu beurteilt werden.

    Spezialfall: ambulante intravenöse Rehydrierung auf der Notfallstation

    •Voraussetzungen

    • Leichte bis mittelschwere Dehydratation, familiäres Umfeld intakt für Entlassung
    • Rehydrierung per os ungenügend / nicht möglich
    • keine relevanten Dyselektrolytämien / keine symptomatische Hypoglykämie

    Labor

    • BGA, E'lyte und BZ vor jeder i.v. Rehydrierung (beim Leitung legen)
    • Weitere Laborwerte nicht routinemässig (nur bei entsprechender Klinik / Indikation)

    Durchführung

    • Die frühe Zufuhr von Glucose i.v. scheint sich positiv auszuwirken auf den Erfolg der ambulanten Rehydratation (bezüglich Hospitalisationsrate und Rückkehr auf Notfallstation)
    • Dosis: Ringeracetat 1% Glucose 20 ml/kg pro Stunde während 1 bis maximal 4 Stunden
      • mindestens 20 ml/kg in 1. Stunde bis max. 60ml/kg in 4h
      • entspricht Glucosezufuhr von 1-2 mg/kg pro Minute

    Entlassungskriterien

    • Verbesserung des AZ und Rückgang der Dehydratationszeichen
    • Entlassung mit "abgestöpseltem" Venflon möglich

    Nachkontrolle 12 bis spätestens 24 Stunden später

    • Wenn möglich Kontrolle beim Kinderarzt (Entfernung Venflon oder erneute Zuweisung)
    • Bei anhaltenden Verlusten und/oder persistierender Trinkschwäche mit entsprenchender Dehydratation Kontrolle nach 12-24 Stunden direkt im Kinderspital

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