Akute (RSV-) Bronchiolitis

23.12.19 - RSV Diagnostik angepasst

25.03.19 - iv-Flüssigkeitsbedarf: Indikationen präzisiert und enger gefasst (statt "Aspirationsgefahr")

Inhaltsverzeichnis

Autoren: Prof. Dr. med. Nicolas Regamey, Dr. med. Marco Lurà (Kinderpneumologie), Dr. med. Alex Donas, Dr. med. Patrick Imahorn (Kindernotfallmedizin), Dr. med. Melanie Kocher (2 Ost), Dr. med. Michael Büttcher (Kinderinfektiologie)
Version: 04/2017

Definition

Viraler Infekt der kleinen Atemwege (Bronchiolen) mit erhöhter Atemarbeit, diffusen bilateralen feinblasigen Rasselgeräuschen und Giemen, bei Säuglingen und Kleinkindern unter 12 Monaten. Epidemisches Vorkommen während Wintermonaten.

Inzidenz

  • 10% im 1. Lebensjahr, 1/10 davon muss hospitalisiert werden
  • In Luzern 100-200 Säuglinge pro Saison mit Bronchiolitis hospitalisiert.

Risikopatienten

Frühgeborene, Säuglinge < 2 Monate, vorbestehende Herz-/Lungenkrankheiten, Immunschwäche, neuromuskuläre Erkrankungen, Trisomie 21, Passivrauchexposition.

Ursache

  • RSV in 70-85%. Gipfel alle 2 Jahre (2016/17; 2018/19; 2020/21 etc.)
  • Andere: Rhinovirus, Parainfluenza-, Influenza-, Adenovirus, humanes Metapneumovirus (hMPV). Oft Misch-infektionen (verschiedene Viren, Chlamydien, Mykoplasmen): protrahierter Krankheitsverlauf möglich.

Klinik

  • Prodromalstadium mit Rhinitis über 2-3 Tage
  • trockener Husten, Tachydyspnoe
  • meist nicht sehr hohes Fieber
  • Trinkschwäche
  • Leises Atemgeräusch, exspiratorisches Knisterrasseln („crackles“), Wheezing
  • Hypoxämie, Zyanose
  • Apnoen (bei kleinen Säuglingen evtl. erstes Zeichen)


Schweregrad

Leicht

Mittel

Schwer/

lebensbedrohlich

Allgemeinzustand

normal

Irritabel, agitiert

apathisch

Atemfrequenz

< 60/min

≥60/min

> 70/min

O-Sättigung (unter Raumluft)

> 92%

88-92%

< 88%

Einziehungen (subkostal, sternal, thorakal), Nasenflügeln

fehlend

+

++

Ernährung

problemlos

erschwert, aber Trinkmenge >50% der normalen Tagesmenge

Trinkmenge <50% der Tagesmenge; Atemnot beim Trinken

Diagnostik

  • Klinisch!
  • Pulsoxymetrie: Wichtigster Hilfsparameter (Merke: Nase vor der Pulsoxymetrie gut reinigen -> bessere SpO2-Werte!)
  • Bei Hospitalisation (nicht bei ambulanten Patienten): Erregernachweis im Nasopharyngealsekret (NPS)
      • Bei schwerer Krankheit, reduziertem AZ, septisch wirkendem Kind:
        • BGA, Elektrolyte (v.a. Natrium), Glucose, CRP, differenziertes Blutbild
        • evtl. BK, Urinstatus/Uricult
        • evtl. Thorax-Röntgenbild ap (Befunde unspezifisch: Überblähung, atelektatische Bezirke und Infiltrate v.a. der Lungenoberfelder)

      Kriterien der Hospitalisation

      • Mittelschwere/schwere Bronchiolitis. Merke: Immer Zeitverlauf berücksichtigen! Krankheitsgipfel Tag 3-5
      • Zunehmende Ateminsuffizienz (u.a. Zunahme der Tachypnoe und Einziehungen)
      • Apnoen, Zyanoseattacken
      • Ungenügende Sauerstoffsättigung (SpO2 <90% >1min). Merke: „stundenlange“ SpO2-Überwachung auf der Notfallstation sinnlos. Auch bei kurzdauernden Entsättigungen (< 1 Min; SpO2>80%) ambulante Betreuung möglich
      • Ungenügende Flüssigkeitsaufnahme
      • Zugrunde liegende Erkrankungen wie CF, BPD, kongenitale Herzfehler usw.
      • Schwierige soziale Umstände, langer Anreiseweg
      • Alter < 2 Monate (korrigiert): Hospitalisation für mindestens 1 Nacht (Risiko von Apnoen)

      Therapie

      • Supportive Massnahmen, Lagerung, minimal handling!
      • Wichtig: gute Nasentoilette! (Absaugen, abschwellende Nasentropfen)
      • O2 bei SpO2 konstant < 90% oder bei schwerer Dyspnoe (Trichter, Nasenbrille)
      • Ernährung
        • Erhöhung der Mahlzeit-Frequenzen (z.B. von 6 MZ/Tag auf 8 MZ/Tag)
        • Keine Einschränkung der Trinkmenge
        • Minimal zu erreichende Flüssigkeitszufuhr: 2/3 der errechneten GF (Faustregel: erste 3 LMt 100ml/kg; 3-12 LMt 80ml/kg)
        • Magensonde bei ungenügender Trinkmenge oder hoher Atemfrequenz (>60/min). Kleine Magensonde wählen – evtl. Magensonde durch den Mund legen, damit Nasenatmung unbehindert ist
        • i.v. Flüssigkeit nur bei Aspirationsgefahr, sehr schlechtem AZ, schwerer Tachypnoe oder Dehydrierung (bringt in den meisten Fällen keinen Vorteil und nur Risiken). Cave Flüssigkeits-Überladung und Hyponatriämie durch SIADH!
      • Paracetamol bei Fieber und/oder bei Schmerzen (evtl. fixe Gabe)
      • Chloralhydrat niedrigdosiert bei starker Aufregung
        • 10mg/kg/dosis < 3 Mte, 25mg/kg/dosis > 3 Mte (iDoseCalc 10-25mg/kg/D)
      • Inhalationen mit Salbutamol (Ventolin): 0.25ml der Lösung 0.5% in 2ml NaCl 0.9%. Ggf. einmaliger Versuch bei älteren Kindern mit Mischbild Bronchiolitis/obstruktive Bronchitis. Bei gutem Ansprechen weiter, ansonsten stopp. Cave: v.a. kleine Säuglinge können sich nach Inhalation vorübergehend verschlechtern (steigender O2-Bedarf, Apnoe), deshalb nach Inhalationsversuch immer für einige Minuten direkt überwachen
      • High-Flow O2-Therapie / Verlegung auf Intensivstation bei schwerem Verlauf (besprechen bei pCO2 ≥ 7.0 kPa bei AF ≥90/min oder ansteigende PCO2-Werten)
      • Physiotherapie: in der Akutphase nur Lagerungsinstruktion (minimal handling!). Keine aktiven Massnahmen (können O2-Abfall bewirken). Bei stabilen, belastbaren Säuglingen Massnahmen zur Sekretmobilisation und Ventilationverbesserung erwägen.
      • Inhalationen mit NaCl 3% können bei protrahiertem Verlauf, Atelektase-Bildung oder sehr zähem Sekret versucht werden (Physiotherapie beiziehen). Dosis: Salbutamol (Ventolin) 0.25ml der Lösung 0.5% in 2-4ml Mucoclear 3% 3x tgl.

      Nicht empfohlen

      • Steroide: haben keinen Effekt in der Behandlung der akuten Bronchiolitis. Bei obstruktiver Bronchitis -> Siehe Indikationen im Merkblatt „Abklärung und Behandlung von obstruktiven Atemwegserkrankungen im Säuglings- und Vorschulalter“
      • Montelukast, Palivizumab (Akutphase): keine Evidenz
      • Antibiotika: nur in Ausnahmefällen bei bakt. Superinfektion (sehr selten – Ausnahme zyanotische Herzvitien). Merke: auch eine RSV-Infektion kann ein hohes CRP verursachen.

      Isolation

      • Siehe Merkblatt „Isolationsmassnahmen“

      Überwachung

      • Dauersättigungsmonitor
        • solange O2-Bedarf
        • bei Alter < 2 Monate
        • bei stark reduziertem Allgemeinzustand, ausgeprägtem ANS, beobachteten Bradykardien und SpO2-Abfällen
        • bei Risikopatienten (s.o.)
      • Ansonsten punktuelle SpO2-Messung anlässlich der Routine-Pflegekontrollen oder bei Bedarf möglich
      • Grosszügige BGA-Kontrollen bei schwerem Verlauf (CO2-Retention? Hyponatriämie?)

      Austrittskriterien

      • Stabiler, guter AZ
      • Kind trinkt selber ausreichend (2/3 des normalen errechneten Tagesbedarfes genügt, s.o.)
      • Kein Sauerstoffbedarf: 1 längere Schlafphase mit SpO2 ≥90%; kurzdauernde Entsättigungen (< 1 Min; SpO2>80%) können toleriert werden. Merke: bei > 50% der Kinder ist "zu tiefe" Sättigung einziger Rest-Parameter, der Hospitalisation unnötig verlängern kann (um durchschnittlich knapp 3 Tage)

      Literatur

      • Meissner HC. Viral Bronchiolitis in Children. N Engl J Med. 2016 May 5;374(18):1793-4
      • Principi T et al. Effect of Oxygen Desaturations on Subsequent Medical Visits in Infants Discharged From the Emergency Department With Bronchiolitis. JAMA Pediatr. 2016 Jun 1;170(6):602-8
      • Ralston SL et al. American Academy of Pediatrics. Clinical practice guideline: the diagnosis, management, and prevention of bronchiolitis. Pediatrics. 2014 Nov;134(5):e1474-502