Obstipation

Inhaltsverzeichnis

Autorenschaft: A. Clavuot und F. Righini
Version: 07/25

Chronische funktionelle Obstipation

Normale, altersabhängige Stuhlfrequenz

Die Frequenz der Stuhlpassage pro Tag ist altersabhängig

  • Erste Lebenswoche: > 4x pro Tag
  • 4.-6. Lebenswoche: 3x pro Tag
  • Ausschliesslich vollständig gestillte gesunde Säuglinge: 8x pro Tag bis 1x alle 14 Tage (Range 2 - 28 Tage)
  • > 4 Jahre: 1-2x täglich
  • > 5 Jahre: täglich bis alle 2 Tage 
     

Definition chronisch funktionelle Obstipation nach Rome IV Kriterien:

  1. Bei Kindern < 4 Jahre:
    • 2 oder mehr Kriterien während mindestens 1 Monat
    • 2 oder weniger Defäkationen pro Woche
    • Anamnestische Stuhlretention
    • Schmerzhafte Stuhlentleerung oder harter Stuhlgang
    • Grossvolumige Stühle
    • Vorhandensein einer grossen Stuhlmasse im Rectum
    • mindestens 1 Stuhlinkontinenz-Episode pro Wochen nach der Sauberkeitsentwicklung
    • grossvolumige, die Toilette verstopfende Stuhlgänge

 

  1. bei Kindern > 4 Jahre:
  • Während mindestens 3 der vorhergehenden 6 Monate, dauernd oder intermittierend/ während mindestens 1 Monat
    • mindestens 2 der folgenden Kriterien in mehr als 25% der Zeit
      • starkes Pressen bei der Defäkation
      •  klumpiger oder harter Stuhl (Bristol Scale Typ 1-2)
      • Gefühl der inkompletten Entleerung
      • Gefühl der anorektalen Obstruktion/Blockierung
      • manuelle Manöver zur Erleichterung der Defäkation (digitale Ausräumung, Zuhilfenahme der Beckenbodenmuskulatur)
      • weniger als 3 Entleerungen pro Woche
  • Kein weicher Stuhlgang ohne Laxanzien
  • Kein Reizdarmsyndrom

Enkoprese: unwillentlicher Stuhlverlust oder Stuhlinkontinenz infolge chronischer Obstipation (Überlaufenkoprese)

Kinder mit chronischer Obstipation haben eine geringere Lebensqualität im Vergleich zu Kindern ohne Obstipation.

Assoziationen zwischen Obstipation und faserarmer Kost, verringerter Flüssigkeitsaufnahme, mangelnder Bewegung und Unterdrückung des Defäkationsreizes sowie abrupter Änderungen der Lebensumstände wurden in der Literatur beschrieben. Ein direkter kausaler Zusammenhang ist jedoch nicht belegt.

Entstehung der funktionellen Obstipation:

Diagnostik

Anamnese

  • Mekoniumabgang (bei 90% der Säuglinge innerhalb der ersten 24h)
  • Zeitpunkt des Beginnes der Obstipation
  • Bauchschmerzen, akut oder chronisch mit Besserung nach erfolgtem Stuhlgang
  • Schmerzhafte Stuhlentleerungen von meist harten Stuhlballen
  • Grossvolumige Stuhlmengen, können Toilette verstopfen
  • Gefühl der unvollständigen Stuhlentleerung
  • Analfissuren mit Frischblutauflagerungen im Stuhl
  • Geblähtes Abdomen, Flatulenz
  • Appetitminderung
  • Stuhlschmieren, Einkoten in die Unterwäsche
  • Haltemanöver (Überkreuzen der Beine, auf Zehenspitzen gehen, kauernde Stellungen, oft im Versteckten), oft als Pressversuche fehlinterpretiert.
  • Harnverhalt, Inkontinenz, Enuresis
  • CAVE: akuter Beginn mit rascher Progredienz immer somatische Erkrankung ausschliessen (z.B. Raumforderung)

Klinische Untersuchung

  • Abdomen: gebläht, palpable Stuhlmassen
  • Analinspektion: Position des Anus, Analsphinkterrelief (Fältelung), Fissuren, Marisken, perianales Erythem (Hinweis für Streptikokken-Anitis) , Stuhl-verschmiert?
  • Nur sehr zurückhaltend digital rektale Untersuchung (nicht bei traumatisiertem Kind, nicht als Routinediagnostik): Sphinktertonus, Stenosen, rektale Füllung der Ampulle, Stuhlkonsistenz, Weite der Ampulle
  • Rücken: Sakralgrübchen, Haare?
  • Neurostatus: perianaler Reflex und Sensibilitität, Sehnenreflexe, Cremasterreflex, Muskeltonus untere Extremität?

Red flags

Zusatzuntersuchungen

► Die Diagnose einer funktionellen Obstipation kann meistens aufgrund von Anamnese  und Status gestellt werden

Labor

Bei therapierefraktärer Obstipation mit guter Compliance: Schilddrüsenhormone, Zöliakiescreening (IgA, Tissue-Transglutaminase-IgA), Calcium, Kalium, Kreatinin, Urinstix

Bildgebung

  • Ultraschall: Erstuntersuchung bei unklarer abdomineller Raumforderung oder im Verlauf bei anhaltender Enkoprese trotz berichteter guter Compliance mit Frage nach Megarektum und Koprostase
    • Im Verlauf bei fehlendem Therapieerfolg sollte die Rektumweite sonographisch kontrolliert werden und gleichzeitig nach Koprostase gefragt werden.
    • Bei einer Rektum-Durchmesser > 3.0cm besteht ein dilatiertes Rektum oder eine Stuhlimpaktion im Rektum.
  • Abdomen-Röntgenbild: zurückhaltend, nur bei Unklarheiten über Ausmass der Stuhlretention, Beurteilung der ossären lumbosakralen Strukturen, Frage nach Megacolon
  • Kolon-Kontrasteinlauf: bei frühem Symptombeginn mit Therapieresistenz. Frage nach Kalibersprung, Stenosen, Analwinkel und Megacolon
  • Transitstudie: bei Frage nach slow transit constipation oder outlet obstruction

Anorektale Manometrie (Druckmessung): zur Abgrenzung fehlender inhibitorischer rektoanaler Reflex (Hirschsprung) / sphinktäre Achalasie und sphinktärer Dyssynergismus

Rektumschleimhautbiopsie bei hochgradigem Verdacht auf einen Morbus Hirschsprung

Differentialdiagnose – organische Ursachen

  • Anorektale Fehlbildungen: Analstenose, Anorektale Malformationen, Anteroposition des Anus, erworbene Stenose (St. n. NEC)
  • Tumor (Sakrales Teratom)
  • Intestinale Innervationsstörungen: M. Hirschsprung, Neuronale Intestinale Dysplasie (NID), sphinktäre Achalasie
  • Neurologische Ursachen: Spina bifida, MMC, tethered cord
  • Muskulär und neurogen bedingte Motilitätsstörung: Gastroschisis, Malrotation, Prune belly Syndrom, pädiatrische intestinale Pseudoobstruktion (PIPO), inertes Kolon
  • Metabolische Ursachen: Hypothyreose, Hypokaliämie, Hyperkalzämie, CF, DM, MEN 2B
  • Gastrointestinal: Zöliakie, Kuhmilcheweissintolrenz
  • Medikamente: Opiate, Anticholinergika (zB bei Enuresis eingesetzt), Eisenpräparate, Chemotherapeutika, Antidepressiva, Vitamin D Intoxikation
  • Infektiös/Inflammatorisch: Streptokokken-Anitis, Spodylodizitis

Jenseits der Neonatalperiode liegt in den meisten Fällen eine funktionelle Obstipation vor.

Für ein organisches Leiden spricht ein Symptombeginn praktisch ab Geburt, evtl mit verzögertem Abgang von Mekonium.

Haltemanöver und Stuhlschmieren sind häufig mit funktioneller Obstipation assoziiert.

Therapie: Grundpfeiler

  • Aufklärung
  • Desimpaktion = intensives Abführen
    • Voraussetzung für eine erfolgreiche Obstipationsbehandlung bei Retention von grossen Stuhlmengen ist eine leere Ampulle
    • mit Polyethylenglycol-Lösungen (Macrogol)
  • Erhaltungstherapie zur Vermeidung erneuter Stuhlakkumulation
    • Ziel: regelmässiger, weicher, schmerzfreier Stuhlgang 5x pro Woche
    • Regelmässige Laxantiengabe (zB Macrogolum)
    • Im Säuglingsalter < 6 Monate bei therapierefraktärer Situation: Versuch 2-4 Wochen mit extensiv hydrolisierter Milch (Althera, Alfaré, Aptamil pepti syneo)
    • Präbiotika und Probiotika mit positivem Effekt, allerdings Evidenz schwach: auf Wunsch zusätzliche Verabreichung zu Macrogolum
  • Verhaltensänderung:
    • Primär Reduktion von Angstkomponente und Rückhaltemanöver durch perorale Laxantientherapie (Stuhlweichmacher), initial somit KEIN forciertes Toilettentraining empfohlen wenn Rückhaltemanöver vorhanden.
    • Sekundär Konditionierung eines normalen Stuhlverhaltens durch Toilettentraining (2-3 x täglich auf Toilette, nach dem Essen (Ausnutzen des gastrokolischen Reflex), während 5 Min, in angenehmer und «korrekter» Position). Positives Unterstützen durch Belohnungssystem.

Durch das Abstellen der Füsse auf einem Schemel (Toilettenhocker) kommt das Kind in eine Art hockende Position. Dadurch entsteht ein steilerer Winkel zwischen Darm und After. Das Rektum wird begradigt und der Stuhlgang kann leichter herausgleiten.

Medikamentöse Therapie

  • Desimpaktion mit Macrogol 3350 oder 4000 gemäss Compendium (mit Movicol Junior ; falls Laxipeg dann umrechnen: Movicol Junior 1 Sachet= 6.5gr, Laxipeg= 10gr) sobald Diarrhoe, Dosis beibehalten für 3 Tage

im Anschluss Beginn mit einer

  • Erhaltungstherapie mit Macrogol
    • Ziel: möglichst täglicher, schmerzfreier, weicher Stuhlgang, Bristol Scale Typ 3-5, bei Stuhlgang BS Typ 1-2, 2 Tage ausbleibender Stuhlgang oder
      • Stuhlschmieren: Verdoppelung der Dosis
      • bei Stuhlgang BS Typ 6-7: Halbieren der Dosis, nicht stoppen
      • Langzeittherapie, so lange wie Obstipation schon besteht

Häufigste Gründe für Therapieversagen sind Non-Compliance der Medikamenteneinnahme und des Toilettentrainings, sowie ein zu frühes Absetzen der Stuhlregulation! Zudem soll nach der Erhaltungstherapie-Dauer das Macrogol bei geplantem Stopp ausgeschlichen und nicht sofort gestoppt werden. Es bedarf zu Beginn einer engmaschigen Therapie-Kontrolle/Begleitung der Eltern. Auch im Verlauf langfristige Begleitung notwendig.

Abb. Bristol Scale

Wirkstoff

Handelpräparat

Galenik

Dosierung

NW und KI

Bemerkung

Lactulose

 

Duphalac® Sirup, 6.7g/10ml

Gatinar® Sirup

6.7g/10ml

Rudolac® Sirup

6.7g/10ml

Importal® Sirup, Pulver (6.7g/10ml; 10g/Sachet@15ml Sirup)

1-2 g/kg/d in 1-2 ED;entsprechend 1.5-3ml/kg/d

steigern gemäss Wirkung und Verträglichkeit, max. 2x20ml/Tag

Blähungen, Bauchkrämpfe, Flatulenz

Osmotisch wirksames, synthetisches Dissacharide.

Geeignet zur Erhaltungstherapie. Längerfristig gut toleriert.

Paraffinöl

 

 

 

 

Reines Paraffinöl

Paragol N® Sirup

 

Paragar® Sirup enthält Phenolphthalein (Darmstimulans)

Erhaltungstherapie:

≥ 18 Mt: 5-10 ml po

≥ Jahre: 10-45 ml po  

Übelkeit

Pneumonitis bei Aspiration

 

Kontraindikation:

Kinder <1j, GOER

Gleitmittel. Heraussickern aus Anus bei zu hoher Dosierung. Langzeittherapie gut toleriert

Macrogolum

4000 (Laxipeg®) oder Macrogolum 3350 (Movicol®)

 

 

 

 

 

Laxipeg Plv® aromafrei (Beutel 10 g, Dose 200 g)

Movicol junior® Sachet (Beutel 6.5g)

Movicol® Sachet     (Beutel 13g)

Macrogolum 4000 Pheur pulvis, Reinsubstanz (wird am LUKS nicht mehr hergestellt, muss als Magistralrezeptur verordnet werden, z.B. Firma Hänseler)

 

 

 

Initialdosis:

0.4g/kg/Tag

 

Desimpaktion:

1-1.5g/Tag während 6 Tagen; siehe Schema Compendium "Movicol Desimpaktion"

 

 

 

Erhaltungstherapie

0.2–0.8 g/kg/Tag, bei Rückhaltemanöver oft höhere Dosen erforderlich

Anwendung: 1 Beutel Movicol Junior/ Laxipeg in 70-100ml Flüssigkeit anrühren. Im Kühlschrank 24 Stunden haltbar

Bei nasogastrischer Sonde: 20 ml/kg/Std für 4 Std pro Tag

Blähungen, Bauchschmerzen, Flatulenz

 

Im Säuglingsalter <6 Monaten nicht empfohlen (fehlende Daten), ab 6 Monaten ausreichende Datenlage zur sicheren Verwendung

Lactulose=erste Wahl im Säuglingsalter

Osmotisch aktiv, aus

Macrogolum und Elektrolyten bestehend. Langzeittherapie gut toleriert.

 

Stimulanzien und Kontaktlaxantien

Dulcolax® (Bisacodyl p.o./p.r.)

Darmol®, Zeller-Feigensirup®

(Sennaglykoside)

Picoprep®

(Natrium-picosulfat)

Prucaloprid (Resolor®) p.o.

 

 

Als 2.Linientherapie, in der Regel off-label, bei Therapie-refraktären Situationen; gehört durch den Spezialisten verordnet und kontrolliert

Klistier-"PC"

 

 

 

 

 

Rektaler Einlauf mit

NaCl 0.9% (Urotainer/Ecobac) 100ml Beutel erwärmt mit Microlax versetzt, dann Applikation via Darm

 

 

 

 

 

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Microlax Klist® 1 ml

Sorbitol 625 mg

 

Natriumcitrat 90mg

Natriumlaurylsulfoacetat 9mg

Hilfsstoffe Sorbinsäure, Glycerol

 

Indikation

Dickdarm/Enddarmreini-gung vor Diagnostik oder OP

Einleitung Behandlung einer schweren Obstipation

Übliche Dosierung:

< 2 Jahre: 50 ml (1/2 Einlauf

>2 Jahre 100 ml

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Microlax®

Kinder > 3 J:: Rektale Einführung eines Tuben­inhaltes.

Kindern unter 3 Jahren Kanüle nur bis zur Hälfte ihrer Länge eingeführt. Ein Tropfen des Tubeninhaltes auf die Kanüle gestrichen genügt als Gleitmittel.

Kontraindikation:

Blutungen im Analbereich und

rektale Blutungen, Neutropenie, Immunsuppressiva

 

 

Neu: Alternative zu dem nicht mehr erhältlichen Yal-Produkt und nicht mehr erhältlichen Phosphat-freien Einlauf Bichsel, Verordnung im Epic unter 'phosphat-freier Einlauf Kispi'

 

Plopp-App als Hilfe zur Therapie-Einstellung und Motivation für das Toilettentraining

App vom UKBB entwickelt, gratis Download im App Store ►link

Kombination von Stuhlprotokoll inklusive Enkopresis, Beschwerdetagebuch und Dosis-Tagebuch. Erleichtert die Dosisanpassung des Macrogols. Das Tagebuch kann auch exportiert und per Email an den behandelnden Arzt verschickt werden zur telefonischen Besprechung einer allenfalls notwendigen Dosisanpassung.

Videoanleitung unter ►link

Anhand dieses Beispiels müsste die Macrogol Dosis am Folgetag aufgrund des harten Stuhlgangs BS Typ 2 und der Enkopresis verdoppelt werden auf 10g pro Tag.

 

Neurostimulation: wird  im Rahmen von Projekten untersucht, bisher noch nicht zugelassen

Algorithmus bei Säuglingen < 6 Monate mit Obstipation gemäss ESPGHAN and NASPGHAN

Algorithmus bei Kindern > 6 Monate mit Obstipation gemäss ESPGHAN and NASPGHAN