Thermische Verletzungen: Erstversorgung INS

06.09.20 - Upload Step-by-Step-Anleitung Verbandstechnik. Minor-Anpassungen an Epic (Hinweise MedFolio und Papier-Doku gelöscht). Bilder mussten neu eingefügt werden (Update)

12.02.19 - Ein Caveat eingefügt: Cave: Wenn Ausdehnung in behaarte Kopfhaut vermutet grosszügig elektrisch rasieren (Rasierer im Materialraum vorrätig)

04.02.19 - Neuer Dokumentationsbogen

Inhaltsverzeichnis

Autor: Dr. Krieg (INS), Dr. Seeger, Dr. Trück, Dr. Zundel, Dr. Lehner (Kinderchirurgie)
Version: 12/2018, akt. 09/2020

Sofortmassnahmen präklinisch

  • sofortiges Handeln und Vermeiden weiterer Hitzeeinwirkung auf die Haut
  • sofortige Kühlung der betroffenen Körperteile mit lauwarmen Wasser (20-25°C), nicht länger als 10-15 Minuten (Gefahr der Hypothermie v.a. bei kleinen Kindern)
  • nie ganzen Körper kühlen und nasse Kleidung nach 10-15 Minuten entfernen (Gefahr Hypothermie v.a. bei kleineren Kindern)
  • nach Möglichkeit steriles Abdecken der Areale mit Kompressen
  • keine Applikation von Cremes, Gels, …

Allgemeines

  • alle Patienten mit thermischen Verletzungen bleiben stets nüchtern
  • bei jedweder Manipulation oder Versorgung stets auf adäquate Analgosedation achten
  • obligate Kontrolle des Tetanus-Schutzes, Immunisierung bei Bedarf
  • keine prophylaktische Antibiotikatherapie bei thermischen Verletzungen
  • bei Erstversorgung keine Prognose über Outcome und Narbenbildung an Eltern, definitive Beurteilung erst im Verlauf (5-7d) möglich
  • bei ambulanter Versorgung Elterninformation und Abgabe Merkblatt Toxic Shock Syndrom
  • an die Möglichkeit einer Kindesmisshandlung sollte gedacht werden bei:
    • inadäquater Anamnese oder divergierenden Erklärungen
    • verspätetem Aufsuchen eines Arztes
    • verdächtigem Verletzungsmuster wie z.B. scharf begrenzt, handschuh- / strumpfförmige oder kreisrunde Verletzungen, ungewöhnliche Lokalisation, unerklärte Begleitverletzungen

Beurteilung / Dokumentation der thermischen Verletzung

Ausdehnung

  • stets Angabe in "Prozent verbrannte Körperoberfläche" (% VKOF)
  • Handflächenregel: Handfläche einschliesslich Finger des Patienten = 1% VKOF
  • modifizierte 9-er Regel nach Wallace

Tiefenausdehnung

 

Abbildung 1. Verbrennungschirurgie, Lehnhardt, Hartmann, Reichert; Springer; 1. Aufl. 2016 ed.


Dokumentation

  • Exakte Angaben Lokalisation, % KOF, Grad der thermischen Verletzung
  • obligate Fotodokumentation der Verletzung vor und nach Débridement
  • Archivierung der Bilder in der Krankenakte (Medien)

Erstversorgung von thermischen Verletzungen

  • im Rahmen der Erstbeurteilung der Verletzung trifft das Behandlungsteam der Notfallstation ggf. in Rücksprache mit OA Kinderchirurgie den Entscheid über die Art und Weise der Erstversorgung und Weiterbehandlung:
    Versorgung auf INS ↔ Versorgung im OP
    ambulant ↔ stationär
  • ggf. Rücksprache mit Dienst-OA Kinderchirurgie resp. Pikett-Assistent Kinderchirurgie
  • Entscheidungskriterien:
    • Ausdehnung / Tiefe / Lokalisation der Läsion(en)
    • Zustand / Compliance von Patient u/o Eltern
    • Erfahrung des Behandlungsteams auf der INS bzgl. Débridement,
      Verbandtechnik, adäquate Analgosedation
    • Verfügbarkeit operative Kapazität

Hospitalisationsindikationen

Ausdehnung und Tiefe

  • thermische Verletzungen II. Grades ≥ 5% VKOF bei Säuglingen
  • thermische Verletzungen II. Grades ≥ 10% VKOF bei älteren Kindern
  • alle thermische Verletzungen ≥ Grad III

 

Lokalisation

  • thermische Verletzungen in relevanter Grösse und Tiefe im Gesicht / an der Hand / am Fuss, über grossen Gelenken, Genital- / Analbereich und zirkuläre Läsionen

 

Spezielle Unfallmechanismen

  • Inhalationstrauma (Cave: Lungenödem!), Elektrotrauma (Cave: Herzrhythmusstörungen: siehe Algorithmus Stromverletzungen), kombinierte Verletzungen (z.B. SHT…)

 

Soziale Faktoren

  • Verdacht auf battered child (1,5-10% aller thermischen Verletzungen im Kindesalter!), schwierige soziale Verhältnisse oder sprachliche Verständigung

Flüssigkeitsmanagement

  • bei kleinflächigen thermischen Verletzungen keine Flüssigkeitssubstition nötig
  • primäre Anlage iv-Zugang und Beginn Infusionstherapie bereits auf INS bei
    • thermischer Verletzung ≥ 10% VKOF
    • thermischer Verletzung ≥ 5-10% VKOF + erwarteter Wartezeit auf operative Versorgung
      ≥ 60min (dann zudem adäquate intravenöse Analgesie möglich
  • Kristalloide (nach internem Schema Ringeracetat + G5% oder Ringeracetat + G1%)
    • initial Bolus von 10ml/kgKG
    • anschliessend DTI mit jeweiligem Grundbedarf (Berechnung nach Holliday-Segar):
Grundbedarf bis 10kgKG 100ml/kg/d
Für jedes weitere kgKG zwischen 10 bis 20kg 50ml/kg/d
Für jedes weitere kgKG >20kg 20ml/kg/d
  • der zusätzliche Flüssigkeitsbedarf (bei thermischer Verletzung ≥ 20% VKOF) nach der Parkland-Formel sieht zudem vor, dass:
    • in den ersten 24 Stunden nach Unfall zusätzlich 4ml/kgKG/%VKOF gegeben werden
    • 50% des berechneten zusätzlichen Volumens in den ersten 8 Stunden
    • die weiteren 50% in den nächsten 16 Stunden
    • am 2. Tag nach dem Ereignis wird zusätzlich 1ml/kgKG /%VKOF gegeben

Débridement

Wundauflagen

  • Mepilex® Ag (Bild 1)
    - Schaumverband mit Silber
    - dieser kann nach initialem Débridement bis zu 5 Tage belassen werden
    - haftet kaum an der Wunde
    - Vorteile: weniger häufige und weniger schmerzhafte Verbandswechsel,
  • Infektionsschutz
    durch Silberionen, hohe Aufnahmekapazität von Exsudat, hoher Tragekomfort,
    reduzierter Wundgeruch
  • Mepilex transfer® Ag (Bild 2)
    - Eigenschaften siehe Mepilex Ag
    - jedoch etwas dünner, haftet besser v.a. an Finger und Zehen
  • Mepilex® (Bild 3)
    - trockener Schutzverband z.B. für grosse geschlossene Blasen palmar/plantar

Ablauf Débridement auf der INS

  • stets adäquate Analgosedation (siehe Kispi Wiki)
  • Patient im Hinblick auf potentielle Narkose immer vorerst nüchtern belassen
  • individueller Entscheid (OA KiChir / AA Pikett KiChir, OA INS) ob Débridement auf INS oder im OP stattfindet (siehe Entscheidungskriterien unter 4.)
  • insbesondere bei Débridement auf der INS ist auf eine sterile Arbeitsweise zu achten
  • Débridement mit Octenisept oder Prontosan und sterilen Kompressen
    (alternativ Debrisoft ®-Pad)
  • Cave: ein vollständiges und sauberes Débridement (kraftvolle Entfernung nekrotischer und fibrinöser Beläge) fördert die Wundheilung und dient als Wundinfektions-Prophylaxe
  • Cave: Wenn Ausdehnung in behaarte Kopfhaut vermutet grosszügig elektrisch rasieren (Rasierer im Materialraum vorrätig)

kein Débridement obligat notwendig bei

  • vereinzelten, kleinen, geschlossenen Blasen (z.B. an Fingern…)
  • grosse intakte Blasen palmar/plantar: Behandlung initial mit trockenem Schutzverband, nach Aufplatzen sekundäres Débridement und Wunddeckung mit Mepilex® Ag resp. Mepilex transfer® Ag oder direkt Bepanthen Salbe bei trockenen Wundverhältnissen


Verbandstechnik

  • Verbände mit Mepilex (transfer)® Ag und Mepilex®
    • ggf. Zuschneiden des Schaumverbandes auf passende Grösse (siehe Vorlage Schnittmuster Mepilex® Ag im Anhang
    • Wunddeckung mindestens 2cm überlappend mit der intakten Haut
    • Sekundärverband zur Absorption von Wundsekret mit sterilen Gazekompressen und/oder Kerlix (Krüllbinde)
  • Fixation wahlweise mit elastischer Binde, selbsthaftender Binde (Cave: nicht fest anziehen!) oder Netzverband

 

Spezielle Lokalisationen

  • Gesicht / Ohren / Hals:
    • bei kleinflächigen Läsionen I. Grades Behandlung mit Bepanthen Salbe ohne Verband
    • grösserflächige Verletzungen oder Grad II Rücksprache OA KiChir / AA Pikett KiChir (ad OP zum Débridement und Mepilex® Ag)
    • Keine Anwendung von topischen Steroiden
    • Betroffene Haut um Augen mit Floxal® Augensalbe behandeln, bei unmöglichem Lidschluss Applikation von Vitamin A Augensalbe.
    • mögliche Verbandstechnik (siehe Anhang Bild 4)
  • Intimbereich:
    • immer individuelle Beurteilung ggf. Behandlung mit Mepilex® Ag. Achtung: bei ödematösen Verletzungen im Intimbereich muss die Einlage eines Blasenkatheters angedacht werden, zudem stationäre Aufnahme (Information an OA KiChir / AA Pikett KiChir).

Zirkuläre Verletzungen:

  • wenn Extremitäten zirkulär verletzt sind, muss die periphere Durchblutung, Motorik und Sensibilität (pDMS) regelmässig (zu Beginn stündlich) kontrolliert werde
  • d.h. Finger- bzw Zehenkuppen müssen zugänglich und beurteilbar sein (siehe Anhang Bild 7)
  • damit sie zwischen den Kontrollen aber dennoch gedeckt sind, soll ein Jelonet mit einer sterilen Kompresse darüber gelegt (siehe Anhang Bild 8) und mit einem Netzverband (siehe Anhang Bild 9) fixiert werden.
  • für das Verbinden von Finger und Zehen eignet sich besonders Mepilex transfer® Ag, weil es dünner ist und besser haftet

Verlaufskontrolle im ambulanten Setting

  • auch bei geplanten Verbandswechseln ist auf eine auf adäquate Analgosedation zu achten
  • Instruktion Eltern bei Erstvorstellung: Analgesie schon zuhause geben!
  • Wann? erster ambulanter Verbandswechsel stets nach 2-5 Tagen (je nach Verletzung)
  • Wo? je nach Verletzungsausdehnung sind folgende Optionen möglich:
    1. im Gipszimmer Kinderchirurgie
      bei kleinen, unkomplizierten Verletzungen ohne zu erwartende
      Notwendigkeit für zusätzliche Analgosedation
      Terminvereinbarung via Gipszimmer (041 / 205 32 05): Zuweisung machen
    2. nüchtern auf INS (verantwortlich Ambi-AA KiChir u/o Notfall-OA KiChir)
      bei potentiellem Bedarf an Analgosedation
      (junges Alter, grossflächige Verletzung oder spezielle Lokalisation)
      bei antizipierbarem Bedarf eines erneuten Débridements
      Terminvereinbarung via Bettendisposition (041 / 205 32 41)
    3. primär im OP
      bei antizipierbarem Bedarf eines erneuten Débridements
      Terminvereinbarung via Bettendisposition (041 / 205 32 41)
  • Ausnahme: kleinflächige Verletzungen ≤Grad IIa an nicht funktionellen oder sensiblen Körperstellen können primär durch den Kinder- / Hausarzt nachkontrolliert werden

Kriterien zur Kontaktaufnahme mit dem Kinder-Verbrennungszentrum Zürich

  • thermische Verletzungen II. Grades >10-15 % VKOF
  • thermische Verletzungen Grad III
  • thermische Verletzungen an Hand, Fuss, Genitalien sowie bei Beteiligung grosser Gelenke
  • Stromverletzungen
  • chemisch bedingte Hautläsionen (z.B. Verätzungen)
  • Inhalationstrauma
  • Kinder mit signifikanten Komorbiditäten

Die Entscheidung zur Kontaktaufnahme trifft stets der diensthabende kinderchirurgische Kaderarzt

Kinderspital Zürich - Eleonorenstiftung
Zentrum für brandverletzte Kinder, Plastische und Rekonstruktive Chirurgie
Steinwiesstrasse 75
8032 Zürich

Telefon +41 44 266 71 11 (Zentrale) Kontakt mit Oberarzt Verbrennungszentrum resp. Dienst-OA Kinderchirurgie

Literatur

  • Das thermisch verletzte Kind - Monatsschrift Kinderheilkunde 2017 – 165:817-832
  • Treatment for burn blisters: debride or leave intact? Emergency Nurse, May 2014, Vol 22, Number 2, 24-27
  • Merkblatt Erstversorgung von thermischen Verletzungen, Universitäts - Kinderspital Zürich
  • S2k-Leitlinie 006-128: Behandlung thermischer Verletzungen im Kindesalter (Verbrennungen,
    Verbrühungen), Stand: 04/2015

Verbandstechnik

  1. Standardvorgehen Step-by-Step (Anleitung .PDF) 
  2. Weitere spezielle Beispiele Verbandstechnik

Gesicht:

Extremitäten:

Latzverbrühung:

Vorlage Schnittmuster für Mepilex®-Wundauflagen: