HWS - Verletzungen

Inhaltsverzeichnis

Autoren: Dr. L. Simma (Interdisziplinäre Notfallstation), Dr. M. Lehner und Dr. S. Zundel (Kinderchirurgie)

Version: 10/2018

Einleitung

  • HWS-Verletzungen im Kindesalter sind selten. Verletzungsmuster variieren je nach Alter. Wache, orientierte Kinder schützen in der Regel (jedoch nicht immer) eine verletzte Region durch Schonhaltung.
  • Häufigeres Auftreten von SCIWORA möglich (spinal cord injury without radiographic abnormality). Cave neurologische Auffälligkeiten, auch transient (z.B. Kribbelparästhesien etc.)
  • Der Drehpunkt der kindlichen HWS liegt höher als bei Erwachsenen (C1/2 versus C6/7, daher häufigste Lokalisation von Verletzungen auf Höhe C1-C3.
  • Vorschulkinder (<5 Jahre) sind praktisch immer symptomatisch bei Wirbelsäulenverletzungen.

Initiale Stabilisierung

Schockraum – Gemäss Trauma-Algorithmus (Primary survey (ABCDE), Logroll, Secondary survey)

Anamnese z.B. gemäss PALS: SAMPLE Format (signs, allergy, medication, past medical history, last meal, events)

Risikofaktoren für HWS Verletzung:

  • Stürze grösser als Körperhöhe
  • Hochrasanztrauma bei Verkehrsunfall
  • Hochrasanztrauma bei Sport (Reiten, etc.)
  • Kopfsprung ins Wasser

Klinische Beurteilung

Vorgehen nach klinischen Entscheidungshilfen (NEXUS, Canadian C-Spine s.u.). Zu diesen klinischen Entscheidungshilfen gibt es nicht viele Untersuchungen bei Kindern, sie werden in der Praxis jedoch aus pragmatischen Gründen angewandt.

NEXUS

  • Fehlender Druckschmerz über der Mittellinie der HWS
  • Kein fokal neurologisches Defizit
  • Normale Bewusstseinslage - GCS 15
  • Kein Hinweis auf Intoxikation
  • Keine weitere von der HWS Verletzung ablenkende schwere Verletzung ("distracting injury")

Canadian C-Spine Rule


adaptiert nach Stiell 2001, Stiell 2003, aus Slaar et al. 2017

Praktisches Vorgehen

Wichtig!
Grundsätzlich Analgesie vor Untersuchung, ggf. Reevaluation nach mutmasslichem Wirkungseintritt von peripheren Analgetika.
Falls zu einem der unten genannten Schritte Schmerzen auftreten: Bildgebung und Belassen der Immobilisation.

o HWS Beurteilung bei Tragen von hartem Halskragen in manueller Stabilisierung in Mittelposition (sh manuelle Stabilisierung).
o Palpation Mittellinie – Proc. Spinosi – Paravertebral.
o Falls indolent -> aktive Rotation >45° des Patienten möglich.
o Schmerzfrei? -> Freigabe

Algorithmus (grössere Ansicht)


* Risikoerkrankungen: Down-Syndrom, Klippel-Feil Syndrom, Achondroplasia, Mucopolysaccharidosis, Ehlers-Danlos Syndrome, Marfan Syndrom, Osteogenesis imperfecta, Larsen Syndrom, Juvenile rheumatoide Arthritis, renale Osteodystrophie, Rachitis, St. n. Wirbelsäulenverletzung


Weiteres Procedere MRI/ Entlassung/ stationäre Aufnahme nach Rücksprache mit Kinderchirurgie. CT HWS nur im Ausnahmefall, da keine Aussage über ligamentäre Verletzungen möglich und Strahlenbelastung (insbesondere Schilddrüse).

Immobilisierung HWS

Harter Halskragen
Initiale Stabilisierung meist präklinisch angelegt. Pädiatrisch höhenverstellbar.
Tragedauer: Maximal 4 Stunden lang (Druckstellen!)



Manuelle Stabilisierung der HWS
Notwendig bei Untersuchung und Evaluation oder ggf. bei Intubation.



Semirigider Halskragen (Aspen®)
Bei fehlender Freigabe nach Bildgebung oder Patient nicht untersuchbar (z.B. Koma/IPS). Tragedauer bis zu 4 Wochen.
Grössen: Aspen Vista (höhenverstellbar) grössere Kinder und Erwachsene.
PD 4 (2-5 Jahre, 12-19kg), PD 5 3-6 Jahre (13-25kg).

Blockimmobilisierung
meist schon durch Rettungsdienst mit Blöcken oder Sandsäcken, +/- Halskragen und Tape/Gurt fixierter Kopf/HWS.

Referenzen

  • Die NEXUS (Nationale Emergency X- Radiography Utilization Study) Studie wurde im Jahr 2000 veröffentlicht.
    Multizentrische Studie aus den USA mit 34069 (Erwachsenen) Patienten. Die Autoren legten insgesamt 5 klinische Prädiktoren fest, nach denen die Patienten nach Trauma untersucht werden mussten: kein Druckschmerz über der Mittellinie der HWS, kein fokal neurologisches Defizit, normale Vigilanz, keine Hinweise auf Intoxikation und keine von einem HWS – Schmerz ablenkende schwere andere Verletzung („distracting injury“). Es wurden 818 relevante HWS Verletzungen gefunden – 8 davon wurden nicht erkannt. Dies entspricht einer Sensitivität von 99,6% - oder eine nicht erkannte HWS Verletzung pro 4000 untersuchten Patienten. Die Modus der Bildgebung dieser Studie: HWS Röntgenaufnahmen in drei Ebenen.
  • Die Canadian C-Spine Rule Study wurde multizentrisch in 10 Traumazentren in Kanada durchgeführt und die Ergebnisse im Jahr 2001 publiziert. Einschluss von 8924 Patienten. Als bildgebende Diagnostik wurde ein HWS-CT durchgeführt. Die klinischen Parameter, nach denen die Patienten beurteilt wurden, waren deutlich ausführlicher als in der NEXUS Studie: es wurden Hochrisikofakoren definiert - erfüllte der Patient diese Kriterien, wurde er der Diagnostik zugeführt. Nicht für Kinder validiert.


1. Hale DF, Fitzpatrick CM, Doski JJ, Stewart RM, Mueller DL. Absence of clinical findings reliably excludes unstable cervical spine injuries in children 5 years or younger. The journal of trauma and acute care surgery. 2015;78(5):943-948.
2. Dixon A. Cervical Spinal Injury In Pediatric Blunt Trauma Patients: Management In The Emergency Department. Pediatric emergency medicine practice. 2016;13(3):1-24.
3. Slaar A, Fockens MM, Wang J, et al. Triage tools for detecting cervical spine injury in pediatric trauma patients. Cochrane Database of Systematic Reviews. 2017(12).

Bildnachweis
© Armstrong Medical INC, USA (https://www.armstrongmedical.com/products/philly-patriot-collars/)
© Aspen Medical Products, USA (http://www.aspenmp.com/products/upper-spine/aspen-collar/)