Inhalationstrauma - Rauchgasvergiftung

Inhaltsverzeichnis

Autor: Dr. L. Simma (INS) und Prof. N. Regamey (Kinderpneumologie)
Version: 04/2020

Kurzzusammenfassung – Initialversorgung

Anmeldung/Präklinik

  • Unterscheidung Traumapatient/Verbrennungspatient (Schockraumindikation?-> siehe Schockraumprotokoll) vs. isolierte Rauchgasexposition (inkl. heisser Dampf)

Prinzipielles

Strukturiertes Vorgehen nach Algorithmus (ABCDE – PALS, ATLS etc.)

Airway

  • Fokus auf: Stridor, Heiserkeit, schwarzes Sputum (Russ), Speicheln, versengte Nasenhaare, Gesichtsschwellung (ev. Intubationsindikation, cave potenziell schwieriger Atemweg)
  • Bei oropharyngealen Verbrennungen/Verätzungen und/oder relevanten Verbrennungen am Hals muss eine Intubation erwogen werden, auch bei (noch) fehlender Atemwegsproblematik
  • HWS-Ruhigstellung bei Trauma

Breathing

  • Falls möglich Oberköper 30-45°hochlagern
  • Wheezing, Pfeifen, Atemnotzeichen
  • SpO2 (Cave: falsch normal bei COHb)
  • Sauerstoff via Reservoirmaske applizieren (bis 15 L/min)

Circulation

  • Standard Assessment nach Algorithmus, insbesondere Suche nach Zeichen für kardiogenem Schock oder Arrhythmien

Disability

  • Speziell: genaue Interpretation der Vigilanz (CO oder CO2 Intoxikation). Bei Cyanid zusätzlich Krampfanfälle möglich

Exposure

  • Kleidung entfernen
  • Patient ev. waschen
  • Augen bei Exposition spülen

Diagnostik

  • BGA, ev. kapillär als Initialdiagnostik
  • Bei erhöhtem COHb ist von einer CO-Vergiftung auszugehen, bei schwerer Laktatazidose mit erhöhter Anionenlücke von einer CN/Zyanid-Vergiftung.
  • Ggf Gefässzugang und weiteres Labor je nach Szenario (ggf. Laborblock Bewusstseinstrübung zur Differenzierung Mischintoxikation plus Ethanol-Spiegel, ggf. weitere wie Paracetamol, Salicylat bei Suizidversuch)
  • Röntgen-Thorax: Für die Initialdiagnostik bei milden Fällen in der Regel bedeutungslos, bei schweren Fällen Röntgen Thorax i.R. der Kontrolle Tubuslage
  • Kontaktaufnahme mit dem Tox-Zentrum Tel 145

Therapie

Sauerstoff

O2-Gabe immer über Maske mit Reservoir (erreichbare inspiratorische Sauerstofffraktion = FiO2 0,9), wegen Überlegenheit gegenüber der Maske (FiO2 0,6) und der Nasenbrille (FiO2 0,4)

Hyperbare Sauerstofftherapie: umstritten und  im Einzelfall allenfalls Rücksprache mit HBO-Zentrum

Cyanokit ®

Bei metabolischer Azidose, Koma oder arterieller Hypotonie/Rhythmussstörungen unklarer Ätiologie an eine Cyanid-Vergiftung denken:

  • Azidose mit verbreiterten Anionenlücke (elevated anion gap acidosis)
  • Laktat >7mmol/l
  • Behandlung mit Hydroxocobalamin (Cyanokit) - Dosis 70 mg/kg i.v.über 15 min (max 5g)
  • Wiederholung möglich (max 140 mg/kg iv. oder 10g)
  • Über separaten Zugang gleichzeitig mit Natriumthiosulfat: 100-200mg/kg (1-2ml/kg einer 10%-igen Lösung) langsam i.v. während 10-20 Minuten behandeln. (Details siehe Behandlungsschema ToxZentrum Zürich unter Referenzen)
     
  • Medikamentenlager  im LUKS:
    • Hydroxocobalamin (Cyanokit) 5g i.v.: 3 Packungen im Antidota-Lager des interdisziplinären Notfallzentrums in Luzern und sind damit 24 Std zur Verfügung
    • Natriumthiosulfat 10g/100 ml i.v.: 10 Durchstechflaschen im Antidota-Lager des interdisziplinären Notfallzentrums in Luzern und sind damit 24 Std zur Verfügung.

Augendekontamination

  • Bei Beteiligung der Augen sofortige Spülung. Gemäss Augenklinik Tropfanästhesie topisch mit Oxybuprocain 0.4%, um das Ausspülen erträglich zu machen.
  • Falls möglich pH Messung mit Teststreifen, Erfragen der Schmerzen mittels VAS vor und nach Spülung (Dokumentation!)
  • Ausspülen des Auges mit 500ml BSS-Augenspüllösung (Augenklinik) während 15 Minuten
  • Alternativ  auch eine 15- bis 20-minütige Spülung mit NaCl 0,9 %, Ringer-Lösung oder balancierter Lösung möglich.

--> Konsil Ophthalmologie!

 

aus Zellner, T., Eyer, F. Notfall Rettungsmed 22, 322–329 (2019)

 

Disposition

Patienten mit Rauchgasexposition welche keine Aufnahmekriterien erfüllen sollten über 4-6 Stunden überwacht werden bevor sie entlassen werden. Falls einer der folgenden Punkte zutrifft sollte in jedem Fall eine Aufnahme erfolgen:

  • Rauchgasexposition >10 Minuten in einem geschlossenen Raum
  • Verbrennungen im Gesicht
  • Schwarzes Sputum
  • Bronchospasmus
  • metabolische Azidose
  • Carboxyhämoglobin über 15% (CoHb)

Prognose/Follow-up

  • Bei signifikanter COHb Exposition können neurologische Schäden persistieren. Evaluation mit der Neuropädiatrie im Verlauf der Hospitalisation. Nach toxischem Lungenödem kann es zu langfristigen Lungenschädigungen kommen, Rücksprache mit Kinderpneumologie bezüglich weiterer Kontrollen.

Hintergrund - Vertiefende Informationen

Die wichtigsten Noxen bei Bränden sind Kohlendioxid (CO2), Kohlenmonoxid (CO), Blausäure, und Reizgase vom Sofort- und Latenztyp.

Kohlenstoffdioxid

Ist ein farbloses, nichtbrennbares, geruchloses und schwach säuerlich riechendes Gas. Pathophysiologisch kommt es zu einer Verdrängung des Sauerstoffs aus der eingeatmeten Luft. Weil Kohlenstoffdioxid schwerer als Sauerstoff ist, tritt Sauerstoffmangel durch Ansammlung von Kohlenstoffdioxid vor allem in geschlossenen, tiefliegenden Räumen vor (Weinkeller zum Beispiel). Die Symptomatik hängt von der CO2- Luftkonzentration (bzw. vom Sauerstoffmangel) ab und reicht von einem Erregungsstadium, Hyperventilation und Kollaps bis hin zur Bewusstlosigkeit.

Bis zu einer CO2-Raumluftkonzentration von 2 % (20.000 ppm) vertiefen sich zunehmend die Atemzüge, Konzentrationen zwischen 2–8 % werden wegen zunehmender Atemnot höchstens 10–20 min vertragen, ab einer Konzentration >8 % wird man bewusstlos.  Aufgrund der Hypoxämie ist der Patient dann typischerweise zyanotisch.

Kohlenmonoxid (CO)

Ist ein geruchloses, geschmackloses und farbloses Gas, das bei der inkompletten Verbrennung kohlenstoffhaltigen Materials entsteht. Feuerwehrleute nennen es auch den "lautlosen Killer". Übliche Quellen sind Brände, Auspuffgase (z. B. Generatoren, benzinbetrieben Geräte, Eismaschinen z.B. Zamboni) und defekte Heizanlagen (z. B. Gasthermen), aber auch gelagerte Holzpellets, Shishas oder Trockeneis. CO bindet im Blut mit einer um 250-fach höheren Affinität als O2 an Hämoglobin; es entsteht Carboxyhämoglobin (COHb). Physiologisch kommt COHb im Blut in Konzentrationen bis 2 % vor; Raucher können Konzentrationen bis zu 10 % aufweisen. Die Halbwertszeit im Blut beträgt etwa 300 Minuten, mit 100% Sauerstoff noch etwa 50-100 Minuten. Toxische Effekte entstehen nicht nur durch die HbCO Bildung sondern auch durch Einwirken auf andere Enzyme und Moleküle im Körper.

 

Übliche Trias von:

  • Symptome passend zu einer CO- Intoxikation
  • Vorliegen oder Verdacht einer stattgehabten Exposition gegenüber CO
  • Nachweis erhöhter COHb-Werte

Symptome:

  • Mild (< 20% COHb): Kopfschmerzen, milde Dyspnoe, Myalgie, Sehstörungen und Verwirrung
  • Mittelschwer (20%-40% COHb): Somnolenz, Benommenheit, Erbrechen, abgeschwächte Wahrnehmung, Schwindel, Kurzatmigkeit, Thoraxschmerzen
  • Schwer (> 40% COHb): Schwäche, Lethargie, Amnesie, rosige Haut ("schweinchenrosa", "cherry-red", kann aber bei Zirkulationsstörung fehlen), Störung der Vitalparameter mit bevorstehendem kardiovaskulärem Kollaps
  • >60% COHb: Koma und Krampfanfälle

Therapie:

Die O2-Gabe sollte bei spontanatmenden Patienten immer über eine Maske mit Reservoir, diese sollte bis zur Symptomfreiheit und einem normwertigen COHb (<5 %), meist um die 6 h, kontinuierlich durchgeführt werden

 

Cyanid

Blausäure oder Cyanid Vergiftungen sind selten. Cyanidverbindungen entstehen beim Verschwelen stickstoffhaltiger Natur- und Kunststoffe. Bei jeder Rauchgasvergiftung muss auch mit einer zusätzlichen Blausäurevergiftung gerechnet werden. Nach Inhalation können die ersten Symptome innerhalb weniger Sekunden auftreten.

Symptome:

Kratzen im Hals, Atemnot, Kopfschmerzen, Sehstörungen, Schwindel, Herzklopfen, Erbrechen, Stuhldrang, Erregung mit aggressiven Ausbrüchen, Bewusstseinstrübung, generalisierte Krampfanfälle, metabolische Laktatazidose, gelegentlich ein Lungenödem und im Endstadium Bradykardie, Hypotension und Atemstillstand. Die Zyanose fehlt bis zum Atemstillstand. Es entstehen schwere Myokardschädigung mit Arrhythmien, ST-Strecken- Veränderungen und anschließendem Herzstillstand.

Diagnostik:

Ein bewusstloser Patient mit spontanem Kreislauf sollte nach O2-Gabe spontan rasch erwachen. Direkter Nachweis ist in unserem Labor nicht verfügbar. Die wichtigste klinische Diagnostik ist eine Blutgasanalyse (BGA). Wie schon oben erwähnt ist bei erhöhtem COHb  von einer CO-Vergiftung auszugehen, bei schwerer Laktatazidose mit erhöhter Anionenlücke von einer CN–-Vergiftung. Diese muss empirisch behandelt werden.

Bei folgenden Konstellationen sollte eine Antidottherapie (Cyanokit ®/ Hydroxocobalamin) erwogen werden:

  • persistierende Bewusstseinstrübung Glasgow Coma Scale [GCS] 9–10), Bewusstlosigkeit (GCS <8) oder Krampfanfälle
  • Rußpartikel in Gesicht, Nase, Mundhöhle oder Sputum
  • metabolische Azidose mit einer Laktatkonzentration >7mmol/l
  • nicht anders erklärbare arterielle Hypotonie, Bradykardie oder Herzstillstand

Reizgase Soforttyp

Einteilung in hohe Wasserlöslichkeit wie Acrolein, Ammoniak, Flusssäure und Salzsäure und jene mit mittlerer Wasserlöslichkeit wie Chlorgas.

Vereinfacht formuliert reagieren sie mit der Schleimhaut und führen dort zu Verätzungen.

Symptome sind abhängig vom Reizgas und der Dauer der Exposition. Meist zeigen die Augen eine konjunktivale Injektion und können verätzt sein. Symptome sind Brennen der Lippen und Mund bis hin zur Verätzung von Nasenschleimhaut bis zur Trachea treten auf. Ein Reizhusten ist typisch und zusätzlich können Atemnot mit Tachypnoe, Stridor und Glottisödem bis hin zum Laryngospasmus auftreten. Reizgase mit mittlerer Wasserlöslichkeit schädigen auch die tiefen Atemwege, es kann zusätzlich zu einem Bronchospasmus, einer sterilen Lungenentzündung (Pneumonitis) und einem Lungenödem kommen.

Diagnostisch ist die Blutgasanalyse das wichtigste Instrument. Ein erhöhter Kohlendioxidpartialdruck (pCO2) ist Hinweis auf eine Obstruktion, ein erniedrigtes pCO2 weist auf eine Oxygenierungsstörung mit kompensatorischer Hyperventilation hin.

Reizgase Latenztyp

Sie erzeugen initial leichte Symptome, ähnlich denen der Reizgase vom Soforttyp. Nach einer Latenz von 3–26 h kann es aber zusätzlich zu einem toxischen Lungenödem kommen.

Thermische Schäden und Russpartikel

Thermische Schäden im Bronchialbaum entstehen durch heissen Wasserdampf. Dieser kann Wärme besser als trockene Luft leiten. Bei Inhalation von Wasserdampf wird im Gegensatz zur heißen Luft das gesamte Bronchialsystem geschädigt. Durch Russpartikel können zusätzlich die tieferen Atemwege verlegt werden.

Beim Vorliegen folgender Konstellation besteht der Verdacht auf eine thermische Schädigung:

  • Feuer innerhalb eines geschlossenen Raums
  • Verbrennungen an Mund und Nase
  • angesengte Nasenhaare

Symptome sind initial Heiserkeit, Dysphonie und Dysphagie, folgend Tachypnoe, Stridor und ein Larynxödem. Bei Vorliegen eines Larynxödems sollte die sofortige Intubation erfolgen (Anästhesie Kaderärzte).

Referenzen

  • Zellner, T., Eyer, F. Inhalationstrauma durch Rauchgas bei Bränden. Notfall Rettungsmed 22, 322–329 (2019). https://doi.org/10.1007/s10049-018-0450-7
  • Macnow TE, Waltzman ML. Carbon Monoxide Poisoning In Children: Diagnosis And
    Management In The Emergency Department. Pediatr Emerg Med Pract. 2016
    Sep;13(9):1-24. Epub 2016 Sep 2. Review.