Impfempfehlungen von Früh- und Neugeborenen - Umfeld und Kindsmutter (Stillzeit, Schwangerschaft)

Inhaltsverzeichnis

Autor: Dr. C. Luhmann (Neonatologie), Dr. M. Büttcher (Infektiologie), Dr. M. Hodel (Gynäkologie / Geburtshilfe)
Version: 06/2020

Grundlagen

Im Januar 2009 sind für die Schweiz erstmals generelle Impfempfehlungen speziell für Frühgeborene erschienen. Diese Sonderempfehlungen rechtfertigen sich durch die erhöhte Infektanfälligkeit, welche unter anderem durch den niedrigen Antikörpertiter der Kinder bedingt ist. So haben Frühgeborene ein erhöhtes Risiko für Pertussis, Hämophilus Influenzae Typ B, Pneumokokken und Influenza. Aufgrund der schnellen Abnahme der mütterlichen Antikörper besteht zudem die Gefahr von frühzeitigen Infektionen durch Masern oder Varizellen.

Impfplan für Frühgeborene

(<32 0/7 SSW oder <1500g)

  • gestraffter Impfplan empfohlen (sh. unten Tab. 7)
  • Altersangaben beziehen sich immer auf das chronologische Alter (nicht auf das korrigierte Alter)
  • Ergänzung des Impfplans durch spezifische Empfehlungen für die Familienangehörigen (Tab.8)

Vorsichtsmassnahmen

  • Frühgeborene, welche zum Zeitpunkte ihrer Impfung noch hospitalisiert sind
    • -->mindestens 48 Stunden nach der Impfung kardiorespiratorisch überwachen
  • Frühgeborene, die innerhalb von 48 Stunden nach der ersten Impfung mit einer deutlichen Zunahme oder Wiederauftreten von Bradykardien und/oder Apnoen reagiert hatten (klassisch präsentiert sich die Veränderung in den ersten 24 Stunden):
    • -> kardiorespiratorische Überwachung auch bei der zweiten Impfung, selbst wenn dies einen erneuten 24-48-stündigen Spitalaufenthalt erfordert
  • Bei den folgenden Impfdosen ist aktuell keine kardiorespiratorische Überwachung erforderlich (ausser der Arzt erachtet eine solche als notwendig).
  • Unabhängig vom Gestationsalter: Frühgeborene, die zum Zeitpunkt der ersten Impfung (2 Monate) nicht mehr hospitalisiert sind, brauchen keine kardiorespiratorische Überwachung

Impfungen für Kinder > 32 0/7 SSW und Termingeborene

  • Alle Säuglinge insbesondere jene, die in der 33.-37. Gestationswoche geboren werden, sollten von den ohne Verzögerung durchgeführten Impfungen (im chronologischen Alter von 2 Monaten und 4 Monaten profitieren)
  • Kinder über 32 0/7 SSW sollen im ersten Lebensjahr gemäss dem aktuellen schweizerischen Impfplan (Tab. 1 und Tab. 5 sh. unten) im Alter von 2, 4, 9, 12 Monaten geimpft werden – Infanrix Hexa (2,4 und 12 Monate) und MMR (9 und 12 Monate).

Impfung gegen Rotaviren (Impfung ohne Empfehlung)

  • Solange die Kosten dieser Impfung in der Schweiz von der obligatorischen  Krankenpflegeversicherung nicht übernommen werden, wird diese Impfempfehlung nicht in den Schweizerischen Impfplan aufgenommen.

FSME – Impfung (Frühsommer Meningo-Encephalitis) für Personen mit einem erhöhten Risiko

  • Seit 2019 gilt die ganze Schweiz mit Ausnahme der Kantone Genf und Tessin als FSME-Risikogebiet.
  • Die Impfung wird allen Erwachsenen und Kindern (im Allgemeinen ab 6 Jahren), die in einem FSME-Risikogebiet wohnen oder sich zeitweise dort aufhalten, empfohlen. Zugelassen ab 1 Jahr.
  • Bei Kindern unter 6 Jahren sind schwere Erkrankungen selten. Daher muss die Situation von Kindern im Alter von 1 bis 5 Jahren individuell geprüft werden. Eine Impfung erübrigt sich für Personen, welche kein Expositionsrisiko haben.

Tuberkulose-Impfung (BCG-Impfung) für Säuglinge mit erhöhtem Expositionsrisiko

  • Empfohlen nur bei erhöhtem Ansteckungsrisiko bei Neugeborenen und Säuglingen < 12 Monate (Risiko für die Entwicklung einer disseminierten Tuberkulose höher)
  • Es sind Kinder, deren Eltern aus einem Land mit hoher Tuberkulose-Inzidenz (Inzidenz >50/ Fälle pro 100000 Einwohner und Jahr) stammen und die dauerhaft mit dem Säugling dorthin zurückkehren (http://www.who.int./tb/country/data/profiles/en)
  • Solange der Impfstoff in der Schweiz nicht verfügbar ist, wird empfohlen, die Impfung im Zielland durchzuführen
  • Aufenthalte von beschränkter Dauer (z.B. Ferien) stellen keine Impfindikation dar

Impfempfehlungen für das Umfeld von Frühgeborenen (Tabelle 8)

  • Die rasche Abnahme der transplazentär übertragenen mütterlichen Antikörper (resp. ihre Übertragung erst in den letzten Monaten) setzt Frühgeborene einem frühen Risiko von Infektionskrankheiten aus und dieses Risiko hält auch deutlich länger an als bei termingeborenen Säuglingen.
  • In den ersten Lebensmonaten beruht der Schutz der Frühgeborenen deshalb in erster Linie auf der Verhinderung von Ansteckungen:
    • -> grundlegende Hygieneregeln (Händewaschen usw.)
    • -> Expositionsrisiko bei Frühgeborenen lässt sich mit gewissen Impfungen erheblich senken
  • Diese sind vor oder direkt nach der Geburt bei den Eltern und Geschwistern (Tab. 8, sh. unten) durchzuführen

Impfungen während der Stillzeit

  • Die Impfung mit inaktivierten Impfstoffen oder Lebendimpfstoffen (MMR oder Varizellen) von Müttern während der Stillperiode ist ohne negative Konsequenzen für sie oder den Säugling möglich.
  • Da sich inaktivierte Impfstoffe im Körper nicht vermehren, stellen diese kein spezielles Problem für die Mutter und das Kind dar. Obwohl sich lebende Impfviren im Körper der Mutter replizieren und einige in der Muttermilch nachgewiesen werden können, bleibt dies ohne Konsequenzen für den Säugling. Folglich stellen die Lebendimpfstoffe gegen MMR und Varizellen und alle inaktivierten Impfstoffe (wie Rekombinierte, Polysaccharid-konjugierte, Toxoid-Impfstoffe) kein Risiko für die Mutter und den Säugling dar.
  • Säuglinge, welche gestillt werden, sollten gemäss dem empfohlenen Impfkalender geimpft werden.

Impfungen vor, während und nach  einer Schwangerschaft

  • Zum Schutz von Mutter und Kind werden folgende Impfungen (der Mutter) während und zu jeder Schwangerschaft empfohlen (unabhängig vom Zeitpunkt der letzten Impfung oder Infektion):
    • Saisonale Grippeimpfung: Mitte Oktober – Mitte November (aber bis Februar möglich)          
      • (1., 2. oder 3. Trimester); auch bis zu 4 Wochen nach der Geburt
    • Keuchhusten/Pertussisimpfung (Impfstoff dTpa): vorzugsweise im 2. Trimester (bis anfangs des 3. Trimesters), aber auch sofort nach der Geburt
  • Auch das Umfeld (Vater, Geschwister, Grosseltern, regelmässige Kontaktpersonen, etc.) sollte einen adäquaten Impfschutz gegen MMR, VZV, Pertussis und Influenza haben.
  • Zum Schutz von Mutter und Kind wird die Überprüfung der Immunität und Vervollständigung des Impfstatus vor jeder Schwangerschaft empfohlen:
    • MMR: 2 dokumentierte Dosen gegen jede der 3 Komponenten, nachzuholen bis mind. 2 Impfungen gegen jede der 3 Komponenten dokumentiert sind.
    • Varizellen: dokumentiert (anamnestisch) durchgemachte Krankheit oder Immunität (IgG) oder 2 dokumentierte Impfungen
    • Hepatitis B: 2 bzw. 3 HBV-Impfdosen gemäss Impfplan oder Hepatitis-B-Serologie
  • Bei unvollständiger Impfung der Mutter werden diese Impfungen sofort nach der Geburt (Wochenbett, Hausarzt, Gynäkologe) empfohlen 

Serologische Abklärung zum Schwangerschaftsbeginn

  • Keine Röteln-Serologie, falls 1 oder 2 dokumentierte Impfdosen gegen Röteln vorliegen
  • Keine Masern-Serologie, falls 1 oder 2 dokumentierte Impfdosen gegen Masern vorliegen.

Eine Varizellen- oder Masern-Serologie kann falsch negativ sein und sollte mit Hilfe eines hochsensitiven Tests verifiziert werden (z.B. Labor des HUG).

Die Suche nach spezifischen IgG-Antikörpern gegen Röteln, Masern und Varizellen soll nur bei nicht-geimpften Schwangeren erfolgen. Die serologischen Resultate dienen als Referenz für den Fall eines späteren Krankheitsverdachts während der Schwangerschaft. Ausserdem erlauben die Resultate, nicht-immunen Frauen zu empfehlen:

  • Jeglichen Kontakt zu infizierten Personen zu meiden. Impfung des Ehepartners und allfälliger Kinder (falls unvollständig geimpft).
  • 2 MMR- und / oder Varizellen-Impfdosen möglichst bald nach der Geburt zu erhalten.

Weiterführende Literatur und Links

1. INFOVAC - die Informationsplattform für Impffragen

2. Kinder Impfen? Ja! Wieso? Broschüre, 2019 (Deutsch, Französisch, Italienisch). 

3. Vaccine Knowledge Project (Oxford) 

Quellen

  1. Bundesamt für Gesundheit, Eidgenössische Kommission für Impffragen. Schweizerischer Impfplan 2020. Richtlinien und Empfehlungen. Bern: Bundesamt für Gesundheit, 2020
  2. Bundesamt für Gesundheit, Eidgenössische Kommission für Impffragen,Schweizerische Gesellschaft für Neonatologie, Schweizerische Gesellschaft für Pädiatrie. Impfung von Frühgeborenen. Richtlinien und Empfehlungen. (BAG 2009)
  3. Gynécologie Suisse (Impfthemen)