Therapeutische Hypothermie nach peripartaler Asphyxie

Inhaltsverzeichnis

Autor: Dr. M. Stocker (NeoIPS)
Version: 08/2018

Grundlagen/Register

In der Schweiz wird ein nationales Register geführt mit Ziel, alle Neugeborenen mit therapeutischer Hypothermie zu erfassen und nachzuverfolgen (National Asphyxia and Cooling Register). Unsere Richtlinien stützen sich entsprechend auf das Protokoll dieses Registers.

Bei Neugeborenen mit perinataler Asphyxie, bei welchen keine therapeutische Hypothermie erfolgt, muss zwingend auf eine enge Temperaturkontrolle geachtet werden, da eine erhöhte Temperatur das Risiko für Mortalität und neurologische Folgeschädigungen erhöht. Die Zieltemperatur dieser Kinder liegt bei 36.0-37.0° Kerntemperatur.

Kinder die keine therapeutische Hypothermie erhalten wegen einer Kontraindikation oder wegen fehlender Indikation, die jedoch neurologisch auffällig sind, sollen ebenfalls im Register erfasst werden.

Indikationen

Neugeborene >34 6/7 SSW, welche weniger als 6 Stunden alt sind und die Kriterien A und B erfüllen:

  • Kriterium A: Mindestens zwei der folgenden Kriterien müssen erfüllt sein:
    • APGAR ≤5 mit 10 (5) Minuten
    • Beatmungsbedarf im Alter von 10 Minuten
    • pH ≤7.0 in der ersten Lebensstunde (NS-Blut oder Blutentnahme)
    • Basendefizit ≥ 16mmol/l in der ersten Lebensstunde (NS-Blut oder Blutentnahme)
    • Laktat ≥ 12mmol/l in der ersten Lebensstunde (NS-Blut oder Blutentnahme)
  • Kriterium B:
    • Klinische Zeichen einer mittelschweren oder schweren hypoxisch-ischämischen Enzephalopathie (Sarnat II oder III, Thompson Score ≥ 7) oder Krampfanfälle

Bei Nichterfüllen der Kriterien, jedoch neurologisch auffälligem Kind aEEG (Start aEEG ab Eintritt IPS) zusammen mit Neurologen beurteilen. Bei pathologischem EEG grosszügige Indikation zur therapeutischen Hypothermie.

Kontraindikationen

In Ausnahmesituationen kann trotz Vorliegen einer Kontraindikation eine therapeutische Hypothermie in Erwägung gezogen werden.

  • FG < 35 0/7 SSW oder GG < 2000g
  • Kind älter als 6 Stunden
  • Schwere Missbildungen
  • Zwingend notwendige Operationen während den ersten Lebenstagen
  • Therapierefraktäre pulmonale Hypertonie
  • Therapierefraktärer Schock (Blutung oder Sepsis)

Primärversorgung/Transport

Bei der primären postnatalen Stabilisation und auf Transport wird eine tiefe Normothermie angestrebt (36.0° +/- 0.5° rektal). Dies wird erreicht durch eine verringerte Wärmezufuhr. In der Transportisolette wird bei einem TG die Temperatur auf 30° gestellt. Als Kontrolle wird die Stammtemperatur (Hautsonde am Rücken unter dem Kind) gemessen und 15-minütlich dokumentiert. Bei zusätzlichem Kühlbedarf kann die Isolette zusätzlich geöffnet werden. Für lange Transporte ev Temperatursonde für Messung der Kerntemperatur benutzen.

Kühltechnik und Zieltemperatur

Die Kühlung erfolgt mit dem Arctic-Sun-Kühlgerät. Die zentrale Zieltemperatur beträgt 33.5° (33.0-34.0°). Diese Temperatur soll bei Therapiebeginn innerhalb von 1-2 Stunden erreicht werden und für 72 Stunden beibehalten werden. Die zentrale Temperatur wird entweder mittels Blasenkatheter mit Tempisonde (kleinster Durchmesser Ch8, daher meist nur bei Mädchen möglich) oder mittels Magensonde mit Tempisonde gemessen. Die periphere Temperatur wird am Fuss oder Zehen mittels Hauttemperatursonde gemessen. Bei einer Temperaturdifferenz zentral-peripher von > 2° wird die periphere Temperatur mittels hot packs beeinflusst.

Weiteres klinisches Management

Analgesie und Sedation:

Die Hypothermie wird als sehr unangenehm empfunden und kann eine starke thermoregulatorische Antwort mit Stressreaktion auslösen. Zeichen dafür sind ein schlechtes Absinken der zentralen Körpertemperatur, eine grosse Temperaturdifferenz zentral-peripher und eine metabolische Azidose. Aus diesen Gründen müssen die Neugeborenen unter therapeutischer Hypothermie immer sediert und meistens intubiert werden, allenfalls wird eine Muskelrelaxation benötigt.

Kardiovaskulär:

Idealerweise soll der Blutdruck invasiv gemessen werden (Nabelarterien-Katheter). Üblicherweise sinkt die Herzfrequenz während der Hypothermie auf 100/Minute oder tiefer. Der angestrebte MAD ist > 40mmHg.

Flüssigkeitshaushalt:

Üblicherweise ist die Nierenfunktion nach einem schweren Asphyxieereignis eingeschränkt. Am ersten Lebenstag wird mit einer Totalflüssigkeit von ca 30-40ml/kg/Tag begonnen, welche im Verlauf je nach Urinausscheidung, E'lytwerten und klinischen Befunden angepasst wird. Eine PEN ist primär nicht notwendig und soll üblicherweise erst nach der Hypothermiephase in Erwägung gezogen werden.

Nebenwirkungen der Hypothermie:

Die Hypothermie vermindert das Herzminutenvolumen und erhöht sowohl den pulmonalen als auch den peripheren Gefässwiderstand. Aus diesen Gründen ist daher ein therapierefraktärer Schockzustand oder eine therapierefraktäre pulmonale Hypertonie ein Grund für einen Abbruch der Hypothermie-behandlung. Unter Hypothermie besteht eine erhöhte Blutungsgefahr, sodass eine therapierefraktäre Blutung als Indikation für einen Therapieabbruch gilt. Zusätzlich besteht unter Hypothermie eine erhöhte Infektgefahr. Eine Antibiotikatherapie muss daher oftmals begonnen werden (Amoxi/Cefuroxim bei leichtem Infektverdacht; Amoxi/Cefepime bei Sepsisverdacht). Bei einer neonatalen Sepsis müssen Risiko und Nutzen der Hypothermie sorgfältig gegeneinander abgewogen werden.

Monitoring/Dokumentation während der Hypothermie

Während der Hypothermie und der Aufwärmphase ist eine engmaschiges Monitoring und Dokumentation der Befunde unerlässlich.

  • Temperatur: Zentrale und periphere Temperatur 1-stdl. in Kurve und Registerprotokoll dokumentieren
  • Kardiopulmonal: Invasive Blutdruckmessung, Ziel-MAD > 40mmHg, SO2 ≥ 92%, Normoventilation
  • BGA: Da die Hypothermie einen Einfluss auf die Löslichkeit von O2 und CO2 und auf das Dissoziationsgleichgewicht von Säuren und Basen hat, wird dies in das Therapieregime miteinbezogen (sogenannter pH-stat-Modus). Die Temperaturkorrektur kann auf der BGA-Maschine eingestellt werden.

  • Milieu interieur: E'lyte mehrmals täglich, Nieren- und Leberwerte vor Hypothermiebeginn, dann alle 24-48 Stunden.
  • Blutungsgefahr: Gerinnungsstatus und Tc-Bestimmung vor Hypothermie-beginn, dann alle 24-48 Stunden. Zielwerte Quick > 50%, PTT < 60 sec, Fibrinogen > 1g/L, Tc > 50 G/L
  • Infektionsgefahr: Infektlabor bei Eintritt, dann alle 24 Stunden
  • Zerebrale Funktion: aEEG kontinuierlich während der gesamten Hypothermiedauer, Neurostatus einmal täglich inklusive Sarnat und Thompson (bitte in Protokoll übertragen inkl. Zeitangabe)
  • Schädel-US: Wenn möglich täglich, mindestens einmal durch Radiologen
  • Schädel-MRI: Zwischen 5. und 14. Lebenstag ist die MRI-Aufnahme am aussagekräftigsten. Absprache diesbezüglich jeweils mit der Neuropädiatrie.

Aufwärmphase

Nach 72 Stunden Hypothermiebehandlung wird das Neugeborene um 0.25° pro Stunde aufgewärmt bis zu einer tiefen Normothermie von 36.0° (+/- 0.5°), welche für weitere 48 Stunden beibehalten werden soll.

Nachkontrollen

Jedes Neugeborene mit perinataler Asphyxie und Hypothermiebehandlung erhält eine neurologische Nachkontrolle mit 4 Monaten. Bei St.n. Krampfanfällen und bei Bedarf Absprache mit der Neuropädiatrie.