Insektengiftallergie

Inhaltsverzeichnis

Autorenschaft: KD Dr. med. Michael Hitzler und KD Dr. med. Alice Köhli (päd. Allergologie)
Version: 04/2024

Einleitung

Insektengifte gehören zu den wichtigsten Ursachen für allergische Reaktionen. In Europa werden diese hauptsächlich auf das Gift der Hautflügler (Hymenopteren) zurückgeführt. Zu den wichtigsten Vertretern gehören die Bienen (Honigbiene und Hummel) sowie die Wespen (Wespe sowie Hornisse). 

Nach einem ersten Stich erfolgt eine Sensibilisierung gegenüber den Giftproteinen, welche bei erneutem Stich zu einer allergischen Reaktion führen kann. 

Neben den allergischen Reaktionen, welche nach H.L. Mueller eingeteilt werden (vergleiche unser Notfallschema) können auch schwere lokale Reaktionen (Hautschwellung lokal >10cm oder über ein benachbartes Gelenk hinaus) auftreten. Diese Schwellungen dauern länger als einen Tag an und sind nur sehr selten von Allgemeinsymptomen (Fieber, Malaise, Kopfschmerzen) begleitet.  

Toxische Reaktionen treten nach multiplen Stichen auf und können zu einer Hämolyse, Rhabdomyolyse, Koagulationsstörung, Leber- und Myokardschäden führen. Lebensbedrohliche Reaktionen werden ab 50 Stichen beschrieben. 

Risikofaktoren

Kinder weisen auf Grund ihres Verhaltens und Aktivitäten ein erhöhtes Expositionsrisiko auf. Kinder von Imkern sind auch mehr exponiert. 

Eine systemische Mastozytose stellt einen schwerwiegenden Risikofaktor dar. Allerdings ist dies im Kindesalter sehr selten. Die Bestimmung der basalen Serumtryptase ist nach einer schweren Reaktion indiziert. 

Das Risiko einer allergischen Reaktion steigt mit der Anzahl Stiche, insbesondere, wenn zwei Stiche innerhalb kurzer Zeit erfolgen.  

Das Wiederholungsrisiko ist abhängig vom Alter (Kinder seltener als Erwachsene), der Stärke der Reaktion sowie Faktoren wie akute Erkrankungen, Sport oder Medikamenteneinnahme. 

Bei Erwachsenen beträgt das Rückfallrisiko bei leichten Reaktionen 30%, bei schweren Reaktionen 50-70%. 

Klinik

Akute Reaktion mit Beteiligung der Haut, der Atmung, des Kreislaufs oder selten bei Insektenallergie des Magen-Darm-Traktes (Einteilung nach H.L.Mueller). Die Reaktion tritt in der Regel in den ersten 2 Stunden nach dem Stich auf. Reaktionen nach mehr als 4 Stunden sind sehr selten und sprechen nicht für eine Sofort-Typ-Reaktion. 

Anamnestisch wichtig und bereits auf dem Notfall zu erfragen ist die Art des Insektes. 

Akutbehandlung

Die Akutbehandlung bei allergischen Reaktionen richtet sich nach dem Ausmass der Reaktion und ist in unserem separaten Merkblatt: Vorgehen bei allergischen Reaktionen ausgeführt. Wichtig vor Ort ist die Entfernung des Giftsacks nach einem Bienenstich mit einer Pinzette, wenn möglich ohne den Giftsack auszudrücken. 

Nach einer anaphylaktischen Reaktion (Grad III oder IV) erfolgt die teilstationäre/stationäre Überwachung im Kinderspital.  

Schwere lokale Reaktionen werden ebenfalls mit Antihistaminika sowie peroralen Steroiden behandelt. Hier helfen Antihistaminika symptomatisch gegen den Juckreiz, die Steroide gegen die Inflammation. Auch NSAR können eingesetzt werden. 

Kinder mit einer toxischen Reaktion benötigen eine intensiv-medizinische Betreuung (Behandlung Koagulationsstörung, Rhabdomyolyse, Leberdysfunktion, Myokardschaden, Hirnödem) 

Entlassung

Nach einer allergischen Reaktion erhalten alle Kinder ein gewichtsadaptiertes und auf den Grad der Reaktion angepasstes Notfall-Set. Der Adrenalin-PEN muss mit den Eltern geübt werden. Zudem benötigen die Eltern einen Anaphylaxie-Notfallplan (CK-Care: Kispi-Wiki) und eine Broschüre von AHA! Schweiz (https://www.aha.ch/allergiezentrum-schweiz/info-zu-allergien/allergien-intoleranzen/insektengiftallergie/?oid=1466&lang=de). 

Abklärung

Kinder nach hochgradigen allergischen Reaktionen sollen bei einem Allergologen/einer Allergologin abgeklärt werden. Es geht hier um die Besprechung einer Immuntherapie, welche bereits ab dem 5. Lebensjahr durchgeführt werden kann. 

Kinder nach einer allergischen Reaktion Grad I und II können auch durch erfahrene Kinder- und HausärztInnen abgeklärt werden. Aus Kapazitätsgründen bitte diese Kinder nicht automatisch in unsere Allergiesprechstunde anmelden! 

Die Abklärung erfolgt frühestens sechs Wochen nach dem Ereignis auf Grund einer möglichen Depletation von spez. IgE, welche die Diagnostik erschwert. 

Diagnostik

Anamnese: 

Zu erfragen sind Nähe zu Insektennestern, Imkerei. Wurde das Insekt zuverlässig identifiziert, blieb ein Stachel in der Haut (evtl. Giftsack) als Hinweis für einen Bienenstich. Allerdings kann auch nach einem Wespenstich ein Teil des Stachels in der Haut bleiben. Dies insbesondere, wenn die Wespe auf der Haut erschlagen wird. 

Wichtig ist die Dokumentation des zeitlichen Ablaufs sämtlicher Symptome.  

Bestehen Risikofaktoren (Anamnese, akute Erkrankungen, sportliche Aktivität), Hinweise für eine kutane Mastozytose? 

Hat das Kind auf die Notfall-Therapie rasch angesprochen? 

Hauttestung: 

Die Hauttestung zur Bestimmung der Allergie-Schwelle wird nur bei Kindern mit schweren allergischen Reaktionen bestimmt (Start und Verlaufsbeurteilung unter Immuntherapie). Sie hat keinen Stellenwert in der Indikationstellung für eine Immuntherapie. Wir führen die Schwellenbestimmung mittels Pricktestung durch. Eine intrakutan-Testung ist sensitiver, wird aber auf Grund der schlechten Toleranz nur in Ausnahmefällen bei Adoleszenten durchgeführt.  

Spezifische IgE: 

Die spezifischen IgE gegenüber Bienen- und Wespengift sind nicht spezifisch auf Grund kreuzreagibler Allergene (Cross-reactive carbohydrate determinants). Deshalb müssen die artspezifischen IgE bestimmt werden. Dies ist gerade bei unklarer Anamnese von Bedeutung. Zudem kann das Allergen-Profil Einfluss auf die Wahl der Immuntherapie haben.  

Folgende rekombinanten Allergene sollen für das Bienengift bestimmt werden: Api m1,3,10. Für die Wespe: Ves v1,5. In ausgewählten Fällen können spez. IgG bei einer verzögerten Immunreaktion Typ III (Arthus-Reaktion) die Diagnose stützen. 

Zelluläre In vitro Tests 

Sollte trotz Bestimmung der rekombinanten Allergene bei einer schweren Reaktion der Auslöser nicht definiert werden können, besteht die Möglichkeit eines Basophilen-Aktivierungstests. Basophile Leukozyten können relativ einfach extrahiert und dem Allergen in vitro ausgesetzt werden. Bei einer Allergie erfolgt die Aktivierung via spez. IgE cross link und Exprimierung spezifischer Oberflächenmarker (CD 203c, CD63). Diese Zellen werden dann mittels Flowzytometrie detektiert. 

Solche Tests sind aufwändig sowie teuer und bleiben somit speziellen Situationen vorbehalten. 

Therapie

Einzige kausale Therapie stellt die spezifische Immuntherapie dar. Die Indikation hierfür wird entsprechend der Ausprägung einer Reaktion sowie weiteren individuellen Faktoren gestellt. Grundsätzlich besteht bei Kindern mit anaphylaktischen Reaktionen (Grad III und IV) die Empfehlung für eine Immuntherapie. Bei Kindern mit einer Grad II Reaktion kann eine abgelegene Wohnlage, Imkerei zuhause oder auch grosse Angst vor Insekten ein Faktor sein, eine solche Therapie zu empfehlen. 

Die Therapie wird in der Regel im Ultrarush-Schema an einem Tag bei uns im Kinderspital eingeleitet. Die Kinder sind nach diesem Tag bereits geschützt. Die ganze Immuntherapie dauert in der Regel fünf Jahre mit Injektionen alle vier bis sechs Wochen. 

Patienten mit einer Mastozytose müssen lebenslang desensibilisiert werden. 

Das Ansprechen ist sehr gut: bei Wespen kann von einer 95% Schutzwirkung ausgegangen werden. Der Schutz bei einer Bienengiftallergie ist geringer auf Grund der teilweise hohen Giftmenge, die bei einem Stich appliziert wird. Der Schutz beträgt aber auch hier gegen 84%. 

Trotz diesem guten Ansprechen benötigen die Patienten weiterhin ein Notfallset inkl. Epipen. Die Handhabung des Epipens muss regelmässig geübt werden. 

Literatur

Insektengiftallergie, A. Gschwend et al., SMF 2017;17:194-200 

Unterlagen (Kispi-Wiki)

Anaphylaxie-Schema 

Anamnese und Abklärungsschema Insektengiftallergie 

Notfallplan Anaphylaxie (CK Care) 

Epipen und Jext-Trainer sowie Etui's für Notfallset: Tagesklinik und KJNO (Box Dummies)