Metabolischer Notfall: Hyperammonämie (Diagnostik und Therapie)

Inhaltsverzeichnis

Autor: Dr. K. Schwendener, Dr. Th. Schmitt-Mechelke
Version: 07/2017

Key Points

Jede Hyperammonämie muss sofort notfallmässig abgeklärt werden !

Die Entwicklungsprognose betroffener Kinder hängt wesentlich von der Dauer und Intensität einer Hyperammonämie ab ("time is brain") !

Definition

NH3-Konzentration > 100 umol/l (Abnahme ungestaut, am besten arteriell, EDTA, in Eiswasser gekühlt, sofort verarbeiten) - Neugeborene: > 150 umol/l

Symptomatik

(unspezifisch, altersabhängig und sehr variabel !)

hier findet sich eine schnelle Übersicht zu Stoffwechselnotfällen


Neugeborene:

  • Rasch progrediente AZ-Verschlechterung nach kurzem symptomfreiem Intervall (DD Sepsis)
  • Enzephalopathie mit Lethargie, Koma - aber auch Exzitabilität, Krampfanfälle
    Trinkschwäche, Erbrechen
  • Tachypnoe mit metabolischer Alkalose (!)
  • Temperaturinstabilität
  • Multiorganversagen


Säuglinge und Kleinkinder:

  • Nahrungsverweigerung (Protein-Aversion), Gedeihstörung
    Irritabilität und Verhaltensauffälligkeiten
  • Episodische Enzephalopathie mit Lethargie, Ataxie, zerebralen Anfällen


Jugendliche und Erwachsene:

  • Chronische progrediente neurologische oder psychiatrische Symptomatik
  • Episodische Symptome bei metabolischen Stress-Situationen
  • Verhaltensauffälligkeiten mit Verwirrung, Lethargie, Psychose (DD Migraine, zyklisches Erbrechen)

Mögliche Ursachen und Differentialdiagnosen

  • Harnstoffzyklusdefekte
  • Organoazidurien
  • Fettsäure-Oxidationsdefekte
  • Schwere Lebererkrankungen
  • Transiente Hyperammonämie bei Neugeborenen
  • andere seltene erworbene Ursachen

Diagnostik

LUKS: NH3, Glukose, Laktat, BGA, Ketostix im Urin, Elyte, ASAT/ALAT, Kreatinin, Harnstoff, Harnsäure, Gerinnung (zumindest Quick)
Serum- und Urinprobe einfrieren

Ans Kispi ZH, klinische Chemie: Aminosäuren im Plasma und Urin (incl. Orotsäure), Organische Säuren im Urin, Acylcarnitine (Trockenblut, "Guthrie")

Vorgehen bei akuter Hyperammonämie und unklarer Grundkrankheit am Kispi Luzern

Ammoniak-Konzentration

Allgemeine Massnahmen

Klinische Symptome, leichte Erhöhung über den oberen Normwert

Stopp Protein- und Fettzufuhr

Glukose i.v. zur Unterbrechung Katabolismus (evtl. zentraler Zugang erforderlich)

Neugeborene: 10-12 mg/kgKG/min (evtl. Insulin zusätzlich, cave Hyperglykämie/Hyperosmolarität

NH3-Spiegel nach 3 h kontrollieren

Falls Erhöhung > 100 umol/l und < 250 umol/l zusätzlich

L-Arginin-Hydrochlorid in 10%iger Glukose 250 mg/kgKG als KI in 90-120 min, danach 250 mg/kgKG/d Erhaltungsdosis

Na-Benzoat in 10%iger Glukose 250 mg/kgKG als KI in 90-120 min, danach 250-500 mg/kgKG/d Erhaltungsdosis

Na-Phenylazetat in 10%iger Glukose 250 mg/kgKG als KI in 90-120 min, danach 250-500 mg/kgKG/d Erhaltungsdosis

(Substanzen sollten auf IPS verfügbar sein)

Kontaktaufnahme mit Dienstarzt Metabolik Kispi ZH (044 – 266 71 11) und Entscheid, ob

N-Carbamylglutamat (Carbaglu®) aus ZH per Taxi beschafft werden sollte. Falls ja:
100 mg/kgKG Bolus via MS, anschliessend 25-62.5 mg/kgKG alle 6 h per MS

Absprache über rechtzeitige Verlegung für evtl. Hämofiltration

Falls Erhöhung > 250 umol/l

Massnahmen wie oben, definitive rasche Verlegung ins Kispi Zürich/anderes Zentrum zur Hämofiltration organisieren


Beachte:

  • Stopp Proteinzufuhr bei Ngb. für max. 24-48 h
  • Bei Hyperglykämie und Laktaterhöhung > 3 mmol/l eher Glukosezufuhr reduzieren als Insulindosis erhöhen
  • Na-Gehalt der Lösungen berücksichtigen und sorgfältig bilanzieren
  • Bei bekannten Arginase-Mangel keine Gabe von L-Arginin (s.u.)
  • Austauschtransfusionen verstärken Katabolismus, eher vermeiden
  • Bei undiagnostizierten Patienten zusätzlich erwägen:
    - Carnitin (100 mg/kgKG IV in 3 ED)
    - Hydroxycobalamin 1 mg i.m.
    - Biotin 10 mg po/IV

Bekannter Harnstoffzyklusdefekt

Bei bekanntem Harnstoffzyklusdefekt und akuter Dekompensation differenziertes Vorgehen nach folgender Tabelle:

Grössere Ansicht (hier klicken)

NAGSD: N-Acetylglutamat-Synthetase-Mangel
CPSID: Carbamylphosphat-Synthetase-I-Mangel
OTCD: Ornithin-Transcarbamylase-Mangel (X-chromosomal)
ASSD: Argininosuccinat-Synthetase-Mangel
ASLD: Argininosuccinat-Lyase-Mangel

ARGID: Arginase-I-Mangel
HHH-Syndrom: Hyperornithinämie-Hyperammonämie-Homozitrullinämie-Syndrom


Referenz

Häberle et al.: Suggested guidelines for the diagnosis and management of urea cycle disorders. Orphanet Journal of Rare Diseases 2012 7:32. (PDF)